Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesinstinkt

Todesinstinkt

Titel: Todesinstinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
Younger Krankenhausdienst. Es gefiel ihm nicht. Die Arbeit war zu regelmäßig und, wenn er ehrlich war, auch zu sicher. Im Januar des neuen Jahrs wurde Younger in der Mittagspause von einem Sanitäter überrascht, der ihm auf die Schulter tippte und ihm Besuch ankündigte. Er deutete zum Eingang der Kantine, wo Colette in ihrer üblichen Strickjacke und dem langen Rock wartete.
    Younger wischte sich den Mund ab und trat zu ihr. Sie schüttelten sich weder die Hand, noch umarmten sie sich. Soldaten drängten an ihnen vorbei in den großen, lärmerfüllten Speisesaal.
    »Sie leben«, sagte sie.
    »Sieht so aus.« Er räusperte sich. »Sie erregen Aufsehen, Mademoiselle Rousseau.«
    Mehrere durch den Eingang eilende Uniformierte hatten abrupt gebremst, die Leute dahinter prallten mit ihnen zusammen, und es kam zu einem chaotischen Auflauf – alles wegen der bezaubernden Französin in der Tür.
    »Weiter, Männer, weiter.« Younger half einem vom Boden auf und versetzte ihm einen Schubs. »Was führt Sie nach Bitburg?«
    »Ich suche die deutsche Vermisstenstelle. Draußen habe ich die Farben Ihrer Kompanie erkannt. Ich dachte ...« Sie senkte den Kopf. »Ich möchte mich entschuldigen für diesen Abend damals. Es war meine Schuld.«
    »Ihre Schuld?«
    Sie runzelte die Stirn. »Ich habe mit Ihnen kokettiert.«
    »Ja. Meine glücklichste Erinnerung an den Krieg. Ich weiß jetzt, was für einen Mann Sie sich wünschen.«
    Die Falten gruben sich tiefer in ihre Stirn. »Tatsächlich?«

    »Einen, dem Sie vertrauen können. Sie haben mir vertraut, und ich habe Sie enttäuscht. Das werde ich bestimmt den Rest meines Lebens bereuen. Kommen Sie, ich bringe Sie zur Vermisstenstelle.«
    »Nein, nicht nötig.«
    »Tun Sie mir den Gefallen«, antwortete Younger. »Sie werden besser behandelt, wenn Sie mit einem Amerikaner erscheinen.«
    Vor dem Krankenhaus war es still und grau wie überhaupt in den Straßen von Bitburg und auch am Himmel, der immerzu Schneefall ankündigte, dieses Versprechen aber nicht einlöste. Er führte sie zu einem gedrungenen Backsteinbau, wo ein kleiner Stab von Deutschen eine Art Fundbüro betrieben — allerdings nicht für Gegenstände, sondern für Soldaten. Vom Eingang bis auf die Straße zog sich eine Schlange von mindestens hundert Zivilisten hin. Bei diesem Anblick forderte Colette Younger auf zurückzugehen, weil sie ihn nicht so lange aufhalten wollte. Doch plötzlich rief jemand an der Tür und winkte sie nach vorn. Die Schlange war nur für Zivilisten, nicht für Armee-offiziere.
    Am Schalter übersetzte Younger Colettes Frage nach einem Soldaten namens Hans Gruber.
    Die behäbige, untersetzte Deutsche beäugte die Französin ohne Sympathie. »Grund?«
    Colette erklärte, dass sie in den letzten Kriegsmonaten in einem Krankenhaus für Grippeopfer bei Paris gearbeitet hatte. Unter den Sterbenden war auch ein Deutscher gewesen: Hans Gruber. »Er war sehr traurig und fromm. Er hat mir anvertraut, dass seine Kompanie nicht wusste, wo er war. Ich habe ihm versprochen, seine Erkennungsmarke
und seine anderen Sachen nach dem Krieg zu seinen Eltern zu bringen.«
    »Geben Sie mir die Marke«, forderte die Frau. »Sie ist Eigentum des deutschen Staates.«
    »Ich habe sie nicht dabei«, erwiderte Colette. »Tut mir leid.«
    Verächtlich verzog die Frau das Gesicht. »Regimentsdaten?«
    Colette nannte das Gewünschte. Sie wurde angewiesen, in einer Woche wiederzukommen. »Aber das geht nicht«, protestierte sie. »Ich habe eine Arbeit und einen kleinen Bruder, um den ich mich kümmern muss.«
    Achselzuckend rief die Frau den nächsten Wartenden auf.
    »Ich kann für Sie nachfragen, Miss Nightingale«, sagte Younger zu Colette, als sie draußen waren.
    Sie gab sich völlig unbeeindruckt von der Anspielung. »Nein, danke, ich finde schon eine Möglichkeit.«
    Etwas breiig Nasses fiel vom Himmel. Kein Schnee, eher zusammengeklumpte Regentropfen. »Sie haben eine neue Arbeit?«, erkundigte er sich.
    »Ja.« Sie klang auf einmal lebhaft. »Ich fange aber erst im März an. Sie hatten Recht: Die Sorbonne hat mich abgelehnt. Doch das ist unwichtig. Nächstes Jahr schaffe ich es hinein. Jedenfalls hat Gott Mitleid mit mir gezeigt. Madame hat mir eine Stelle als Technikerin am Radiuminstitut angeboten. Dort lerne ich bestimmt mehr als an der Universität.«
    »Gottes Wege sind unergründlich.«
    Sie schaute ihn an. »Sie sind nicht gläubig?«
    »Warum sollte ich nicht gläubig sein? Wie absurd von den Menschen,

Weitere Kostenlose Bücher