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Todesinstinkt

Todesinstinkt

Titel: Todesinstinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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trinken.«
     
    U m 23.45 Uhr in dieser Nacht, während amerikanische und französische Generäle im früheren Haus von Baron Charles Rothschild in Paris ein feierliches Diner genossen, eröffneten die alliierten Streitkräfte bei Château-Thierry mit aller Macht das Feuer auf die verborgenen deutschen Verbände, die sich vermutlich am Nordufer der Marne zusammenballten. Stundenlang ließen die Deutschen das Bombardement reglos über sich ergehen. Um 3.30 Uhr in der Früh begann dann ihr Angriff.
    Im Schutz eines heftigen Gegenfeuers — siebzehntausendfünfhundert Gasgranaten, fünfunddreißig Tonnen Sprengstoff — errichteten unsichtbare deutsche Hände Pontonbrücken auf dem Fluss. Über diese Brücken marschierten Welle um Welle die Sturmtruppen. Die französische 125. Division wurde sofort überwältigt und ergriff Hals über Kopf die Flucht. Dagegen hielten die naiven amerikanischen Vorauskompanien die Stellung und waren bald bis auf den letzten Mann ausgelöscht.
    Unaufhaltsam rückten die Deutschen voran und überrannten
alles, was sich ihnen in den Weg stellte. Nach drei Kilometern strömten sie zwischen die Höhenzüge zu beiden Seiten des Surmelin-Tals. Doch auf diesen Fall hatten sich die Amerikaner vorbereitet. Gegen den Befehl französischer Kommandanten, die die Möglichkeit eines umfassenden Rückzugs der Alliierten nicht ins Auge fassen wollten, hatte die amerikanische 3. Division an einer Seite des Tals im Bois d’Aigremont und auf der anderen am Moulin Ruiné schwere, gut befestigte Geschütze in Stellung gebracht. Diese nahmen die ungedeckte deutsche Infanterie unter Beschuss. Die vorandrängenden deutschen Regimenter konnten dem Flankenfeuer nicht ausweichen; das Blut zahlloser Soldaten färbte den Boden rot.
    Youngers Verbandsplatz wurde mit Opfern überschwemmt. Automobile und Pferdegespanne fuhren hin und her, beladen mit Verwundeten, Toten und Sterbenden. In den frühen Stunden des 16. Juli wurde ein deutscher Offizier mit zerschmetterten Rippen hereingetragen, doch Younger, der seit zweiundsiebzig Stunden kaum ein Auge zugemacht hatte, weigerte sich, den Offizier vor den verletzten Infanteristen der Alliierten zu behandeln.
    »Amerikanische Primitivlinge.« Der Offizier spuckte Blut in ein Taschentuch.
    Younger war gerade damit beschäftigt, ein tropfendes, erstaunlich langes Stück Stacheldraht aus dem Bein eines Soldaten zu entfernen. »Ach? Und wer hat vor zwei Wochen ein britisches Lazarettschiff beschossen und anschließend auf die überlebenden Krankenschwestern im Wasser gefeuert, um sie zu töten? Die Deutschen, oder habe ich das falsch in Erinnerung?«

    Obwohl die Gefechte noch vierundzwanzig Stunden andauerten, war bereits am Morgen des 16. Juli klar, dass die deutsche Offensive gescheitert war. Getragen von einer mittlerweile eine Million Mann starken amerikanischen Truppe, begannen die Alliierten am 18. eine Gegenoffensive. Plötzlich wankten die Deutschen, die wenige Tage zuvor schon Paris vor Augen gehabt hatten, wichen zurück und versuchten verzweifelt, sich nördlich der Marne neu zu formieren, um eine vernichtende Niederlage zu vermeiden.
    Am nächsten Tag wurde Youngers Sanitätskorps im Morgengrauen nach Soissons verlegt. Die Lager von Château-Thierry waren jetzt menschenleer. Alles, was blieb, waren Schutt, eine gesprengte Kirche und das ausgebrannte Skelett eines abgeschossenen deutschen Friedrichshafenbombers. Nur noch die Militärtransporter und das Dröhnen von Geschützen im Norden waren zu hören.
    Als seine Kompanie abmarschierte, betrachtete Younger den Feldweg, auf dem er und Colette mit dem stummen Jungen mehrere Tage lang im Lastwagen hin- und hergefahren waren. Dann schob er den Gedanken beiseite. Ein Mann, der nicht nach vorn blickte, sollte auch nicht zurückschauen.
     
    W ährend des Krieges sah er sie nicht wieder.
    Im August waren die Deutschen geschlagen. Sie wussten es, alle wussten es. Doch der Krieg wollte nicht aufhören. Anfang November befand sich Younger in einer ausgebombten Baracke in der Nähe von Verdun und beugte sich über einen englischen Artilleristen. Sein Bein war gebrochen, weil er unter ein Geschütz geraten war, das eine halbe Tonne wog. Younger richtete gerade den Wadenknochen
ein. Trotz seiner Schmerzen schielte der Mann immer wieder auf seine Uhr.
    »Verzeihen Sie, Sir«, fragte der Verletzte schließlich. »Aber dauert es noch lange?«
    »Ich könnte es auch einfach abhacken«, erwiderte Younger. »Das ginge

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