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Todesinstinkt

Todesinstinkt

Titel: Todesinstinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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gestiftet. Er hatte gelebt, ohne einen Gedanken an Geld zu verschwenden, weil er nicht wollte, dass das ihm zugefallene Vermögen zum Klotz am Bein wurde.
    Er wusste, dass er Colette das Geld für die Überfahrt geben würde, auch wenn er sich dadurch zehnmal zum Narren machte. Sie musste ihn nur darum bitten. Schnell
schlüpfte er in seine Abendgarderobe und verließ das Haus erneut. Im Postamt gab er folgende hingekritzelte Nachricht auf:
    25. September 1920
    Wenn es Gottes Wille ist, dann gehen Sie mit ihm.
    — Stratham
    A ls Littlemore am Samstagabend spät und frustriert heimkam, stieß er auf seine völlig verstörte Frau. Ihre Mutter, eine kräftige kleine Person, die nur Italienisch sprach, war an ihrer Seite. »Sie sind hinter Joey her.« Joey war Bettys jüngerer Bruder.
    »Wer?«
    »Ihr — die Polizei«, erwiderte Betty.
    Wie sich herausstellte, waren Polizisten vor der Wohnung von Bettys Mutter an der Lower East Side aufgetaucht und hatten nach Joey gesucht, der am Hafen arbeitete und noch zu Hause lebte. Wahrheitsgemäß berichtete Mrs. Longobardi, dass er nicht da war. Daraufhin drangen sie einfach ein, durchsuchten alles und beschlagnahmten Zeitungen, Zeitschriften und Briefe von Verwandten aus Italien.
    »Sie sagen, sie wollen ihn verhaften«, schloss Betty. »Verhaften und deportieren.«
    »Was waren das für Polizisten?«, fragte Littlemore. »Was hatten sie an?«
    Betty übersetzte für ihre Mutter. Mrs. Longobardi erklärte, dass die Beamten dunkle Jacketts und Krawatten getragen hatte.
    »Flynn«, knurrte Littlemore.

    A m Sonntagmorgen wachte Younger völlig zerschlagen auf. Eigentlich wachte er gar nicht auf, weil er nicht schlafen gegangen war. Als er unrasiert und mit verrutschtem Schlips zu Hause ankam, war es schon weit nach Tagesanbruch. Nachdem er Kaffee zubereitet hatte, beschloss er, sich endlich wieder an die Arbeit zu machen.
    Seit 1917 hatte er keinen wissenschaftlichen Aufsatz mehr geschrieben. Er hatte sich nicht einmal mit Harvard wegen der Fortsetzung seiner Professur in Verbindung gesetzt. Aber er hatte Notizen über die Experimente, die er im Krieg durchgeführt hatte; er wollte einen Artikel über die medizinische Verwendung von Maden schreiben; und es gab noch seine alten Patienten, die sich bestimmt freuten, wenn er wieder praktizierte. Es war höchste Zeit, zur Vernunft zu kommen.
    Er trat in sein Arbeitszimmer und machte sich daran, seine Papiere und Finanzen zu ordnen.
    Gegen Abend fuhr er hoch — er war am Schreibtisch eingeschlafen — aus einem Traum, dessen letztes Bild ihm noch deutlich vor Augen stand. Colette war nach ihrer Österreichreise sofort nach Amerika zurückgekehrt. Sie hatte ihm telegrafiert: Hans Gruber war ihr doch nicht so wichtig; sie liebte nur ihn, Younger. Am Bostoner Hafen wartete er auf sie. Sie kam vom Schiff gerannt, doch als sie vor ihm stand, erstarrte sie, und in ihren grünen Augen malte sich blankes Entsetzen. Er hinkte zu einem Spiegel und sah, was sie so erschreckt hatte. Während ihrer fünfwöchigen Abwesenheit war er um fünfzig Jahre gealtert.
     
    A m Sonntag ließ Littlemore die Kirche und den wöchentlichen Besuch bei seinem Vater in Staten Island ausfallen
und fuhr noch einmal zur Polizeiwerkstatt. Er kletterte in den Wagen der Entführer und durchkämmte ihn gründlich, obwohl Kollegen das Inventar bereits vollständig inspiziert und erfasst hatten. Sein Fleiß wurde mit genau einer Entdeckung belohnt. Tief in einer Ritze zwischen Sitzlehne und -polster fand Littlemore einen Zettel von Western Union. Kein Telegramm, sondern eine Quittung, die nur zeigte, dass jemand eine Nachricht geschickt hatte.
    Hätte er über mehrere Wochen und Dutzende von Beamten verfügt, um alles abzugrasen, wäre es ihm vielleicht gelungen, diese Quittung zu dem Amt zurückzuverfolgen, aus dem sie stammte. Aber Littlemore hatte weder Zeit noch Personal, und das Abschicken eines Telegramms konnte nicht als Beweis für ein Verbrechen gelten.
     
    A m Sonntagabend klingelte bei Younger das Telefon. Er hob ab und verfluchte sich, weil er hoffte, dass es Colette war. Sie war es nicht.
    Littlemores Stimme drang aus dem Hörer. »Was treiben Sie in Boston?«
    »Ich wohne hier.«
    »Ich habe Ihnen das ganze Wochenende über Nachrichten ins Commodore Hotel geschickt. Sie haben nicht erwähnt, dass Sie nach Boston fahren.«
    »Sie haben doch darum gebeten, Sie nicht einzuweihen, wenn ich die Stadt verlasse.«
    »Ach, stimmt, hatte ich ganz vergessen.«

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