Todeskampf - Robotham, M: Todeskampf - The Night Ferry
mit Softell verschwunden ist. Was in aller Welt geht hier vor?
Wir warten zwei Stunden. Fälle für verschiedene Gerichte werden aufgerufen. Anwälte besprechen sich. Leute kommen und gehen. Samira sitzt noch immer im Mantel mit hängenden Schultern auf einer Bank.
»Glaubst du an den Himmel?«, fragt sie.
Die Frage kommt so unerwartet, dass mir der Mund offen stehen bleibt und ich ihn bewusst wieder zumachen muss. »Warum fragst du?«
»Glaubst du, dass Hasan und Zala im Himmel sind?«
»Ich weiß es nicht.«
»Mein Vater glaubte, dass wir unser Leben immer wieder leben und jedes Mal besser werden sollten. Erst wenn wir vollkommen glücklich sind, würden wir in den Himmel kommen. «
»Ich weiß nicht, ob ich das gleiche Leben immer wieder leben wollte.«
»Warum nicht?«
»Es würde die Konsequenzen kleiner machen. Ich verschiebe jetzt schon alles auf den nächsten Tag. Stell dir vor, ich würde es bis zum nächsten Leben verschieben.«
Samira schlingt die Arme um ihren Körper. »Afghanistan verlässt mich.«
»Wie meinst du das?«
»Ich vergesse Sachen. Ich kann mich nicht erinnern, was für Blumen ich auf das Grab meines Vaters gepflanzt habe. Es waren die gleichen Blumen, die ich einmal zwischen Seiten des Korans gepresst habe, worüber er sehr wütend war. Er sagte, es wäre eine Entehrung Allahs. Ich sagte, ich würde Allah mit den Blumen loben. Darüber musste er lachen. Mein Vater konnte nie lange wütend auf mich sein.«
Wir trinken Tee in der Cafeteria und gehen den Reportern, deren Reihen sich langsam lichten, aus dem Weg. Francis Hague und Shawcrofts Anwältin sind immer noch nicht wieder aufgetaucht, genauso wenig wie Forbes. Vielleicht machen sie Weihnachtseinkäufe.
Kurz vor drei erscheint ein Vertreter der Anklagebehörde. Der Ankläger will mit Samira reden. Ich soll auch mitkommen.
»Ich warte hier auf euch«, sagt Dave.
Wir steigen eine Treppe hinauf und werden durch eine Tür mit der Aufschrift »Nur für Mitarbeiter« in einen langen Flur mit Büros geführt. An seinem Ende sitzt eine ziemlich wütend aussehende Frau neben einer einsamen Topfpflanze. Ihre Beine stecken in schwarzen Strümpfen und ragen wie abgebrannte Streichhölzer unter ihrem Pelzmantel hervor.
Unser Begleiter klopft leise an die Tür. Der erste Mensch, den ich sehe, ist Spijker, der selbst für seine Verhältnisse deprimierend melancholisch aussieht. Er fasst meine Hände, küsst mich drei Mal auf die Wangen und deutet eine Verbeugung in Samiras Richtung an.
Shawcrofts Anwältin sitzt am anderen Ende des Tisches gegenüber von Francis Hague. Zwischen ihnen sitzt ein weiterer
Mann, der es offenbar eilig hat. Die Dame vor der Tür könnte seine Frau sein, die eigentlich andere Pläne hatte.
»Mein Name ist Adam Greenburg«, sagt er, steht auf und ergreift Samiras Hand. »Ich bin der stellvertretende Leiter der öffentlichen Anklagebehörde.«
Er entschuldigt sich für die stickige Luft und tupft sich mit einem Taschentuch theatralisch die Stirn ab.
»Ich möchte Ihnen erklären, was meine Aufgabe ist, Miss Khan. Wenn jemand wegen einer Straftat verhaftet wird, kommt er nicht automatisch vor Gericht und ins Gefängnis. Die Polizei muss zunächst Beweise sammeln, und die Aufgabe der Anklagebehörde besteht darin, diese Beweise zu begutachten und sicherzustellen, dass die richtige Person für das richtige Vergehen angeklagt wird und dass dem Gericht alle relevanten Tatsachen bekannt sind. Verstehen Sie das?«
Samira sieht mich und dann wieder Greenburg an. Mir liegt ein Stein auf der Brust.
Die einzige Person, die sich bisher nicht vorgestellt hat, ist der Mann, der heute Morgen in den Gerichtssaal gekommen ist und die Anhörung unterbrochen hat. Er steht in einem Anzug von der Savile Row am Fenster. Er hat das Profil eines Raubvogels mit seltsam ausdruckslosen Augen, aber irgendetwas an seiner Haltung legt nahe, dass er von jedem im Raum ein Geheimnis weiß.
Mr. Greenburg fährt fort: »Die Entscheidung über eine Anklageerhebung erfolgt in zwei Schritten. Zunächst muss die Beweislage geprüft werden. Die Anklagebehörde muss überzeugt sein, dass genügend Beweise für eine realistische Chance auf Verurteilung des Beschuldigten in allen Anklagepunkten vorliegen. Anschließend wird das öffentliche Interesse geprüft. Wir müssen davon überzeugt sein, dass eine Anklageerhebung im öffentlichen Interesse liegt. Die Anklagebehörde wird nur dann eine Anklage vorbereiten, wenn in einem Fall, ganz gleich
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