Todeskampf - Robotham, M: Todeskampf - The Night Ferry
Acton, in einer Nebenstraße der Uxbridge Road, wo Gastürme die Skyline dominieren und man morgens von ratternden Zügen der Paddington-Linie geweckt wird.
Es ist eine typische, ewig unaufgeräumte Junggesellenbude mit einem großen Doppelbett, einem Breitbildfernseher und sonst kaum etwas. Die Tapeten an den Wänden sind halb abgerissen, und der Teppich wurde herausgerissen, ohne dass ein neuer verlegt wurde.
»Wirklich nett, was Sie aus der Wohnung gemacht haben«, bemerkt Ruiz höhnisch.
»Ja, also, ich war in letzter Zeit ziemlich beschäftigt«, sagt Dave und sieht mich an, als wollte er fragen: »Was ist hier los?«
Ich kneife ihm in die Wange, schiebe meine Hand unter sein T-Shirt und streiche über seine Wirbelsäule. Er hat Rugby gespielt, und seine Haare riechen nach gemähtem Gras.
Dave und ich schlafen seit fast zwei Jahren mehr oder weniger regelmäßig miteinander. Ruiz würde über das »mehr oder weniger regelmäßig« grinsen. Es ist die längste Beziehung meines Lebens – selbst wenn man die Zeit abrechnet, die ich im Krankenhaus war.
Dave glaubt, dass er mich heiraten will, aber er hat meine Familie noch nicht kennen gelernt. Man heiratet nicht einfach ein Sikh-Mädchen. Man heiratet ihre Mutter, ihre Großmutter, ihre Tanten, ihre Brüder … Ich weiß, dass alle Familien ihr Gepäck mit sich rumschleppen, aber meine gehört in einen dieser ramponierten, von einer Kordel zusammengehaltenen Koffer, die man auf Gepäckbändern immer endlos kreisen sieht.
Dave versucht, mich mit Geschichten über seine Familie zu übertreffen, vor allem über seine Mutter, die überfahrene Tiere einsammelt und in der Tiefkühltruhe aufbewahrt. Sie hat sich der Rettung der Dachse verschrieben und bombardiert die lokalen Stadträte mit Anträgen, Tunnel unter stark befahrenen Straßen zu bauen.
»Ich hab nichts zu trinken im Haus«, entschuldigt er sich.
»Schämen Sie sich«, sagt Ruiz und verzieht beim Betrachten der Fotos am Kühlschrank das Gesicht. »Wer ist denn das?«
»Meine Mutter«, antwortet Dave.
»Dann kommen Sie mehr nach Ihrem Vater.«
Dave räumt den Tisch ab und bietet uns Stühle an. Ich erzähle noch einmal meine Geschichte. Dann fügt Ruiz ein paar eigene Gedanken hinzu, um der Darstellung mehr Gewicht zu verleihen. Dave faltet und entfaltet derweil ein leeres Stück Papier. Er möchte einen Grund finden, uns nicht zu helfen.
»Vielleicht sollte man die offizielle Ermittlung abwarten«, schlägt er vor.
»Du weißt doch, dass manchmal auch Dinge übersehen werden. «
»Ich möchte niemandem auf die Füße treten.«
»Dafür sind Sie ein zu guter Tänzer, ›New Boy‹«, schmeichelt Ruiz ihm.
Ich kann schamlos sein. Ich kann mit den langen Wimpern vor meinen großen braunen Augen klimpern wie ein Profi. Ich nehme Dave den Zettel ab und lasse meine Finger für einen Moment auf seiner Hand liegen. Er will sie gar nicht wieder loslassen.
»Er hatte einen irischen Akzent, aber das Interessanteste war seine Tätowierung«, beschreibe ich den Mann.
Im Schlafzimmer steht ein Laptop auf einem provisorischen Schreibtisch, bestehend aus der aus den Angeln gehobenen Badezimmertür und zwei Böcken. Er schirmt den Monitor vor mir ab und tippt Benutzernamen und Passwort ein.
Der Police National Computer ist eine gigantische Datensammlung, die Namen, Spitznamen, Decknamen, Narben, Tätowierungen, Akzent, Schuhgröße, Größe, Alter, Haarfarbe, Augenfarbe, Strafregister, Bekannte und Freunde sowie Vorgehensweise jedes bekannten Straftäters oder Tatverdächtigen in Großbritannien enthält. Selbst kleine Details reichen manchmal aus, um einen Zusammenhang zwischen verschiedenen Fällen herzustellen oder den Namen möglicher Verdächtiger auszuwerfen.
In der guten alten Zeit konnte fast jeder Polizeibeamte über PNC via Internet darauf zugreifen. Leider hat jeder zweite Beamte es dazu genutzt, mit dem Verkauf von Informationen Geld zu verdienen. Jetzt muss jede Anfrage – sogar die Feststellung eines Fahrzeughalters – begründet werden.
Dave gibt das ungefähre Alter, den Akzent und Details der Tätowierung ein. Nach nicht einmal fünfzehn Sekunden leuchten die ersten acht Treffer auf dem Bildschirm auf. Dave markiert den Vornamen, und die Seite wird neu aufgebaut. Man sieht zwei Fotos – eine Frontansicht und ein Profil desselben Gesichts. Darunter werden Geburtsdatum, die Vorgeschichte und die letzte bekannte Adresse angegeben. Der Mann ist zu jung und zu dünn.
»Das ist er
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