Todeskampf - Robotham, M: Todeskampf - The Night Ferry
langweile).
Der Tag, an dem ich meine Haare abgeschnitten habe, war beinahe so etwas wie ein Übergangsritual. Als es nachgewachsen war, ließ ich mir eine praktische Stufenfrisur schneiden. Meine Mutter weinte. Aber sie ist mit ihren Tränen noch nie besonders geizig gewesen.
Seit meinen Teenagerjahren lebe ich in Angst vor Saris und Röcken. Meinen ersten BH trug ich mit vierzehn, meine erste Periode bekam ich später als alle anderen. Ich stellte mir vor, dass sich das Blut hinter einem Damm staute, und wenn die Schleusen erst einmal geöffnet wurden, würde es wie eine Szene aus einem Tarantino-Film werden, nur ohne Harvey Keitel, der hinterher sauber macht.
Damals konnte ich mir nicht vorstellen, mich jemals wie eine Frau zu fühlen, aber nach und nach geschah es doch. Jetzt bin ich fast dreißig und selbstbewusst genug, Make-up zu tragen – ein wenig Lipgloss und Mascara. Ich zupfe meine Augenbrauen und epiliere meine Beine. Ich besitze nach wie vor keinen Rock, und bis auf die Jeans und meine Saris ist jedes Stück in meinem Kleiderschrank eine Variation der Farbe schwarz. Das ist okay. Kleine Schritte.
Ich mache einen weiteren Anruf. Er wird zu diversen Nummern umgeleitet, bis schließlich Lena Caspar abnimmt. Im Hintergrund hört man eine Lautsprecheransage. Sie steht auf einem Bahnsteig, wegen einer gerichtlichen Anhörung in Rotterdam, wie sie mir erklärt. Ein Asylbewerber ist angeklagt, Lebensmittel gestohlen zu haben.
»Ich habe Samira gefunden.«
»Wie geht es ihr?«
»Sie braucht Ihre Hilfe.«
Die Details können warten. Ich gebe ihr Spijkers Namen und Telefonnummer. Samira braucht Schutz und Garantien, was ihren Status betrifft, wenn sie aussagen soll.
»Sie weiß noch nicht von Hasan.«
»Sie müssen es ihr sagen.«
» Ich weiß.«
Die Anwältin fängt an laut zu denken. Sie wird jemanden finden, der die Gerichtssache in Rotterdam übernimmt, was vielleicht ein paar Stunden dauern könnte.
»Ich habe eine Frage.«
Meine Worte werden von einer weiteren Bahnsteigdurchsage übertönt. Lena Caspar wartet. »Verzeihung, was haben Sie gesagt?«
»Ich habe eine hypothetische Frage an Sie.«
»Ja.«
»Wenn ein verheiratetes Paar einer Leihmutter befruchtete Eizellen liefert und diese später ein Kind auf die Welt bringt, wem gehört das Baby?«
»Der Frau, die es geboren hat.«
»Selbst wenn es genetisch die DNA des Ehepaares hätte?«
»Das spielt keine Rolle. Die rechtliche Lage ist in den Niederlanden genauso wie in Großbritannien. Die Frau, die es geboren hat, ist von Rechts wegen die Mutter des Kindes. Niemand sonst hat einen Anspruch.«
» Was ist mit dem Vater?«
»Er könnte ein Umgangsrecht beantragen, aber das Gericht wird immer zugunsten der Mutter entscheiden. Warum wollen Sie das wissen?«
»Das wird Spijker Ihnen erklären.«
Ich lege auf und werfe noch einen Blick in den Spiegel. Mein Haar ist immer noch nass. Wenn ich es offen trage, verdeckt es die Schwellung meiner Wange. Ich muss nur meine natürliche Neigung unterdrücken, es hinters Ohr zu streichen.
In der Halle unterhält sich der Kommissar mit der Frau am Empfang. Er hat ein Notizbuch aufgeschlagen. Als die beiden mich sehen, hören sie auf zu reden. Spijker überprüft meine Angaben. Ich würde das Gleiche tun.
Die Fahrt zum Konvent der Augustinerinnen dauert nicht lange. Wir biegen in die Warmoesstraat und fahren in ein mehrstöckiges
Parkhaus. Ein afrikanischer Parkwächter kommt angelaufen. Spijker zeigt ihm eine Dienstmarke und zerreißt das Ticket.
Trotz seiner Vorbehalte hat er erlaubt, dass ich Samira zunächst allein sehen darf. Ich habe zwanzig Minuten. Ich steige die Betontreppe hinab und stoße Feuerschutztüren auf. Auf der gegenüberliegenden Seite liegt der Konvent. Eine vertraute Gestalt tritt aus der großen Eingangstür. In ihrer rosa Jacke und dem knöchellangen Rock hastet Zala, den Kopf gesenkt, die Straße hinunter. Ihr blaues Hijab verdeckt die Wunden in ihrem Gesicht. Sie sollte nicht draußen sein. Ich unterdrücke den Impuls, ihr zu folgen.
Eine große Nonne mit gerötetem Gesicht öffnet mir die Tür. Runzlig, faltig und ein wenig gebrechlich wie ihre Kolleginnen versucht sie offenbar, das alte Gemäuer zu überleben. Ich werde einen Flur hinunter in Schwester Vogels Büro geführt, das in einer eigenartigen Mischung aus Alt und Modern möbliert ist. Ein Bücherschrank mit Glastüren hat denselben Farbton wie der Mahagonischreibtisch. In der Ecke sind ein Faxgerät und ein
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