Todeskampf - Robotham, M: Todeskampf - The Night Ferry
Fotokopierer untergebracht. Auf dem Kaminsims steht eine herzförmige Pralinenschachtel neben einem Foto, von Nichten und Neffen möglicherweise. Ich frage mich, ob Schwester Vogel ihre Berufung je bereut hat. Gott kann ein öder Ehemann sein.
Sie taucht neben mir auf. »Warum haben Sie mir nicht erzählt, dass Sie Polizistin sind?«
»Hätte das einen Unterschied gemacht?«
Sie antwortet nicht. »Sie haben mir noch mehr Leute geschickt, die ich speisen muss.«
»Sie werden nicht viel essen.«
Sie verschränkt die Arme. »Hat das Mädchen Probleme?«
»Ja.«
»Ist sie verlassen worden?«
»Sie ist missbraucht worden.«
Kummer füllt jede Falte ihres Gesichts. Sie weist auf meine geschwollene Wange und streckt mitfühlend die Hand aus. »Wer hat Ihnen das angetan?«
»Das spielt keine Rolle. Ich muss mit Samira sprechen.«
Sie führt mich in einen Raum im zweiten Stock, der in dem gleichen dunklen Ton getäfelt ist. Samira steht am Fenster, als die Tür aufgeht. Sie trägt ein langes, in der Mitte geknöpftes Kleid mit einem Peter-Pan-Kragen. Im Gegenlicht zeichnen sich darunter die Umrisse ihres Körpers ab. Ohne mich aus den Augen zu lassen, setzt sie sich auf das Sofa.
Schwester Vogel bleibt nicht. Als die Tür zugefallen ist, sehe ich mich in dem Zimmer um. An der Wand hängt ein Gemälde der Jungfrau Maria, von Johannes dem Täufer und dem Säugling Jesus. Sie stehen an einem Fluss, der von Bäumen gesäumt ist, an deren Ästen Früchte hängen, und fette nackte Nymphen tanzen übers Wasser.
Samira sieht, dass ich das Bild betrachte. »Bist du Christin ?«
» Sikh.«
Sie nickt zufrieden.
»Magst du die Christen nicht?«
»Nein. Mein Vater hat gesagt, die Christen glauben weniger als wir. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Ich bin keine sehr gute Muslima. Manchmal vergesse ich zu beten.«
»Wie oft musst du beten?«
»Fünf Mal am Tag, aber mein Vater hat immer gesagt, drei Mal reicht auch.«
»Vermisst du deinen Vater?«
»Bei jedem Atemzug.«
In ihren kupferbraunen Augen leuchten goldene Flecken und Unsicherheit. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, was sie in ihrem kurzen Leben schon gesehen haben. Wenn ich an Afghanistan denke, fallen mir schwarz gekleidete Frauen wie eingehüllte Statuen ein, schneebedeckte Berge, alte Karawanenrouten,
nicht detonierte Tretminen, versengte Wüsten, Lehmhütten, antike Monumente und einäugige Fanatiker.
Diesmal stelle ich mich richtig vor und erzähle Samira, wie ich sie gefunden habe. Als ich die Prostituierte vom Molensteeg erwähne, wendet sie sich verlegen ab. Gleichzeitig presst sie die Hand auf ihre Brust und verzieht ihr Gesicht vor Schmerz.
»Alles in Ordnung?«
»Sodbrennen. Zala holt Medizin.« Sie blickt zu der offenen Tür, als würde sie ihre Freundin schon jetzt vermissen.
»Wo hast du sie kennen gelernt?«
»In dem Waisenhaus.«
»Ihr habt Afghanistan aber nicht gemeinsam verlassen?«
»Nein, wir mussten sie zurücklassen.«
»Wie ist sie hergekommen?«
»Auf der Ladefläche eines LKW und dann mit dem Zug.«
»Ganz allein?«
Samiras Züge glätten sich. »Zala findet immer einen Weg, sich verständlich zu machen.«
»Ist sie von Geburt an taub?«
» Nein. «
»Was ist passiert?«
»Ihr Vater hat mit den Mudjahedin gegen die Taliban gekämpft. Nachdem die Taliban die Macht übernommen hatten, haben sie ihre Gegner bestraft. Zala und ihre Mutter wurden verhaftet und mit Säure und geschmolzenem Plastik gefoltert. Es hat acht Tage gedauert, bis ihre Mutter gestorben ist. Da konnte Zala sie schon nicht mehr schreien hören.«
Die Aussage scheint allen Sauerstoff aus der Luft zu saugen, und ich spüre, wie ich nach Atem ringe. Samira blickt erneut zur Tür. Sie hat die Finger über ihrem Bauch gespreizt, als würde sie die Beulen und Tritte ertasten. Was es wohl für ein Gefühl ist, wenn etwas im eigenen Körper wächst? Ein Leben, ein Organismus, der sich nimmt, was er braucht, ohne zu fragen oder zu teilen, der einem den Schlaf raubt, den Hormonhaushalt verändert,
Knochen verbiegt und Organe quetscht. Ich habe meine Freundinnen und Schwägerinnen über brüchige Fingernägel, Haarausfall, Brustschmerzen und Schwangerschaftsstreifen klagen hören. Es ist ein Opfer, das Männer nicht bringen könnten.
Samira beobachtet mich. Sie möchte mich etwas fragen.
»Du hast gesagt, Mrs. Beaumont ist tot.«
»Ja.«
»Was geschieht jetzt mit ihren Babys?«
»Das ist deine Entscheidung.«
»Warum?«
» Sie gehören
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