Todeskampf - Robotham, M: Todeskampf - The Night Ferry
dir.«
»Nein!«
»Es sind deine Babys.«
Sie schüttelt unbeirrt den Kopf. Dann steht sie unvermittelt auf, schwankt leicht und stützt sich an der Sofalehne ab. Sie geht zum Fenster und starrt hinaus in der Hoffnung, Zala zu sehen.
Ich denke noch über ihre Zurückweisung nach. Liebt sie ihre ungeborenen Zwillinge? Stellt sie sich eine Zukunft für sie vor? Oder trägt sie sie bloß aus und zählt die Tage bis zur Geburt, wenn ihr Job erledigt ist?
»Wann hast du Mrs. Beaumont kennen gelernt?«
»Sie ist nach Amsterdam gekommen. Sie hat mir Kleider gekauft. Yanus war auch da. Ich habe so getan, als ob ich kein Englisch sprechen würde, aber Mrs. Beaumont hat trotzdem mit mir geredet. Sie hat mir ein Stück Papier mit deinem Namen gegeben. Sie hat gesagt, wenn ich je Probleme hätte, sollte ich dich suchen.«
»Wann war das?«
»Im März habe ich sie zum ersten Mal gesehen. Dann hat sie mich noch einmal im September besucht.«
»Wusste sie, dass du Zwillinge bekommst?«
Sie zuckt mit den Schultern.
»Wusste sie, warum?«
»Wie meinst du das?«
»Wusste sie von den Schulden? Wusste sie, dass man dich gezwungen hat, schwanger zu werden?«
Ihre Stimme wird sanfter. »Sie hat sich bei mir bedankt. Sie hat gesagt, ich würde eine gute Tat vollbringen.«
»Es ist ein Verbrechen, jemanden zu zwingen, ein Baby zu bekommen. Sie hat etwas sehr Dummes getan.«
Samira ist nicht bereit, so harsch zu urteilen, und zuckt nur die Achseln. »Manchmal machen Freunde dumme Sachen«, sagt sie. »Mein Vater hat mir erklärt, dass wahre Freunde wie Goldmünzen sind. Schiffe sinken im Sturm und liegen für Hunderte von Jahren auf dem Boden des Meeres. Würmer zerstören das Holz. Eisen rostet. Silber wird schwarz, aber Gold verändert sich nicht im Meerwasser. Es strahlt weiter mit derselben Kraft. Es taucht so wieder auf, wie es untergegangen ist. Genauso ist die Freundschaft. Sie überdauert Schiffbrüche und Zeit.«
Der Druck auf meiner Brust wird plötzlich schmerzhaft. Wie kann jemand, der noch so jung ist, schon so weise sein?
»Du musst der Polizei erzählen, was passiert ist.«
»Sie werden mich zurückschicken.«
»Diese Leute haben sehr schlimme Dinge getan. Du schuldest ihnen nichts.«
»Yanus wird mich finden. Er wird mich nie gehen lassen.«
»Die Polizei kann dich beschützen.«
»Ich vertraue ihnen nicht.«
»Vertraue mir.«
Sie schüttelt den Kopf. Sie hat keinen Grund, mir zu glauben. Versprechen füllen keine Bäuche oder bringen tote Brüder zurück. Sie weiß das mit Hasan immer noch nicht. Ich bringe es nicht über mich, es ihr zu sagen.
»Warum hast du Kabul verlassen.«
»Wegen Brother.«
»Wegen deinem Bruder?«
»Nein. Ein Engländer. Wir haben ihn Brother genannt.«
»Wer ist er?«
»Ein Heiliger.«
Mit dem Zeigefinger zeichnet sie ein Kreuz auf ihren Hals. Ich denke an Donavons Tätowierung. Ist das möglich?
»War dieser Engländer ein Soldat?«
»Er hat gesagt, er wäre auf einer Mission von Gott.«
Sie beschreibt, wie er das Waisenhaus besucht, Nahrung und Decken gebracht hat. Es waren sechzig Kinder zwischen zwei und sechzehn Jahren, die sich im Winter in den Schlafsälen aneinanderkauerten und von Krümeln und Almosen überlebten.
Als die Taliban an die Macht kamen, nahmen sie die Jungen als Kindersoldaten und die Mädchen zu Ehefrauen. Als die Nordallianz und die Amerikaner Kabul befreiten, jubelten die Waisen, aber die neue Ordnung war kaum anders als die alte. Soldaten kamen auf der Suche nach Mädchen in das Waisenhaus. Beim ersten Mal versteckte Samira sich unter einem Haufen Decken. Beim zweiten Mal kletterte sie in die Latrine. Ein anderes Mädchen warf sich vom Dach, bevor man sie nehmen konnte.
Ich staune, wie zwiespältig sie klingt. Schicksalhafte Entscheidungen, Angelegenheiten von Leben und Tod werden mit der Nüchternheit einer Einkaufsliste vorgetragen. Ich weiß nicht, ob sie unter Schock steht und sich längst daran gewöhnt hat.
»Brother« bezahlte die Soldaten mit Medikamenten und Geld. Er erklärte Samira, sie solle Afghanistan verlassen, weil es dort nicht mehr sicher sei. Er sagte, er würde einen Job in London für sie finden.
»Und was war mit Hasan?«
»Brother hat gesagt, er müsste in Afghanistan bleiben. Ich habe gesagt, dass ich nicht ohne ihn gehen würde.«
Man machte sie mit einem Schleuser namens Mahmoud bekannt, der ihre Reise organisierte. Zala musste zurückbleiben,
weil kein Land ein taubes Mädchen aufnehmen würde, wie
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