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Todeskette

Todeskette

Titel: Todeskette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Forbes
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wasserblauen Augen so eindringlich, dass es ihm fast unangenehm war.
    »War es eigentlich immer schon Ihr Wunsch, hier in der Bank als Buchhalterin zu arbeiten?«, fragte er sie.
    Lavinia lachte. Es war ein ungezwungenes, angenehm klingendes Lachen.
    »Nein, war es nicht. Nach meinem Studium habe ich deshalb nicht gleich hier angefangen, sondern habe mich erst einmal in der Welt umgesehen. Sie werden vielleicht lachen, aber ich habe tatsächlich eine Schauspielschule besucht und danach an kleinen Theatern im Norden von London gespielt. Es waren allesamt ziemlich heruntergekommene Häuser mit winzigen Garderoben und fürchterlicher Verpflegung.«
    »Was für Rollen haben Sie denn gespielt?«
    »Hauptsächlich Shakespeare. So habe ich im
König Lear
beispielsweise nacheinander alle drei Töchter gespielt.«
    »Und welche war ihnen dabei am liebsten? Eine der beiden bösen Töchter?«
    »Nein, überhaupt nicht, obwohl ich auch in diesen Rollen gut war. Am liebsten war mir Cordelia, die Schwester, der so übel mitgespielt wird.
    Irgendwann ging die Schauspieltruppe auf Europatournee – fragen Sie mich nicht, wie unser Direktor das geschafft hat –, und in Dänemark haben sie meine Cordelia geradezu geliebt.«
    »Und dann sind Sie in die Dienste der Main Chance Bank getreten?«, fragte Tweed.
    »Nein. Erst habe ich noch bei Medfords Security gearbeitet.« Sie warf Paula einen vielsagenden Blick zu. »Dort habe ich gelernt, wie man komplizierte Schlösser knackt, wie man Leute beschattet, ohne gesehen zu werden, und wie man sich tarnt, indem man regelmäßig die Kleidung wechselt.«
    »Genau das habe ich auch gelernt. War sehr wichtig für mich.«
    »Für mich auch. Aber ich war nie sonderlich gut in diesen Dingen.«
    »Aber die Schauspielerei hat Ihnen auch nicht allzu gut gefallen, oder?«, fragte Tweed.
    »Die Reisen durch Europa waren interessant. Ich habe viele verschiedene Länder kennengelernt. Aber meine Schauspielerkollegen mochte ich nicht besonders. Sagen wir mal so: sie waren einfach ein wenig seltsam.« Sie hielt inne und lächelte Tweed an. »Nach meiner Zeit bei der Sicherheitsagentur bin ich dann wieder nach Hause zurückgekehrt. Hier ist es so schön still, eine echte Erholung nach dem lauten London mit seinem schrecklichen Verkehr und den Fußgängern, die ständig in ihre Handys plappern und einen dabei fast über den Haufen rennen.« Sie legte Tweed eine Hand aufs Knie. »So, jetzt wissen Sie alles über mich.«
    »Vielen Dank. Ich bin fasziniert.«
    »Wovon?«, fragte Lavinia mit einem liebenswürdigen Lächeln und nahm ihre Hand wieder weg. »Von mir oder von meiner Biografie?«
    »Von beidem natürlich«, antwortete Tweed galant.
    Lavinia sah auf die Uhr und stand auf.
    »Wenn wir jetzt zum Mittagessen gehen, muss Mrs. Grandy nicht in ihr Horn stoßen«, sagte sie.
    »Hat sie denn ein Horn?«, fragte Paula, während sie die Bibliothek verließen.
    »Nein, aber eine furchtbar laute Stimme.«
    Als sie ins Esszimmer kamen, stand dort schon Mrs. Grandy und machte ein böses Gesicht. Kurz nach ihnen traf Marshal Main ein, gefolgt von Marler und Newman.
    »Ich habe jetzt nur für zwei noch mal Essen gemacht«, brummte Mrs. Grandy.
    »Wenn die Herren auch etwas wollen, müssen sie sich gedulden.« Sie deutete mit ihrem dicklichen Zeigefinger auf Marler und Newman.
    »Schimpfen Sie hier nicht herum, Mrs. Grandy«, sagte Main und warf seiner Haushälterin einen bösen Blick zu. »Tun Sie lieber Ihre Pflicht. Schließlich bezahlen wir Sie dafür.«
    Marler setzte sich zwischen Paula und Lavinia an den Esstisch und fing an, mit Lavinia zu plaudern, während Newman von hinten an Paula herantrat und ihr leise ins Ohr flüsterte: »Wir haben etwas entdeckt. Aber das erzähle ich Ihnen später…«

20
    »Ich gehe nach draußen und mache einen kleinen Verdauungsspaziergang, solange die Sonne noch scheint«, verkündete Tweed, nachdem sie gegessen hatten. Weil Mrs. Grandy erst weitere Portionen hatte kochen müssen, hatte das Essen länger gedauert als geplant. Fast alle hatten durcheinandergeredet und alberne Witze gerissen, was wohl noch immer eine Reaktion auf das brutale Verbrechen gewesen war, das sich vor Kurzem in diesem Haus abgespielt hatte. Während der Unterhaltung war Tweed aufgefallen, wie gut sich Marler mit Lavinia verstand.
    Paula hatte ihrerseits Warner Chance eingehend studiert, der sich mit versteinerter Miene seinem Essen gewidmet und kein einziges Wort gesagt hatte. Irgendwie erinnerte er sie

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