Todeskette
an jemanden, und nach kurzem Nachdenken wusste sie auch, an wen.
In ihrer Zeit bei Medfords hatte sie einmal einen Urlaub in den USA gemacht.
Sie war von New York nach Rapid City in South Dakota gefahren, wo sie sich auch den Mount Rushmore angesehen hatte, jenen gigantischen Berg, aus dem man die Köpfe von vier Präsidenten gehauen hatte: von Washington, Jefferson, Teddy Roosevelt und noch einem, an dessen Namen sie sich jetzt nicht mehr erinnern konnte. An diese erstarrten grauen Felsgesichter erinnerte sie Warner Chance. Er kam ihr so vor, als schmiedete er einen Plan oder wartete auf etwas.
»Bitte entschuldigen Sie mich«, sagte Tweed.
Als er draußen in der Eingangshalle war, bemerkte er, dass ihm jemand folgte.
Es war Marler, der seine halb offene Golftasche bei sich hatte.
»Ich komme mit«, knurrte Marler. »Sagen Sie jetzt bloß nicht Nein.«
Gemeinsam stiegen sie die Stufen von der Terrasse hinab. Die Sonne schien jetzt von hinten über das Haus hinweg in den Wald, dessen Bäume in ihren Strahlen hellgrün leuchteten. Tweed war froh, endlich draußen zu sein, und sog die frische Luft in vollen Zügen ein. Die Ruhe war einfach wunderbar.
Hinter einem Brombeergestrüpp auf der anderen Seite der Straße hob Jacques sein mit einem Zielfernrohr versehenes Gewehr. Stundenlang hatte er zwischen den Gitterstäben des Parktors hindurch zum Haus hinübergestarrt in der Hoffnung, dass sein Opfer endlich erscheinen würde. Jetzt war es so weit. Jetzt hatte er Tweed im Fadenkreuz. Nur eines machte ihm Sorgen: Die Sonne schien ihm direkt ins Gesicht. Tweed stand da und bewegte sich nicht und hatte die Hände in den Taschen seines grauen Jacketts. Jacques holte noch einmal tief Luft, bevor er den Zeigefinger am Abzug krümmte.
»Was für ein herrlicher Tag«, schwärmte Tweed. »Da könnte man fast vergessen, weshalb wir hier sind.«
Marler, der rechts neben ihm stand, teilte den Enthusiasmus seines Chefs nicht. Er sah sich, wie es seine Art war, ständig nach allen Richtungen um, ob Tweed nicht vielleicht von irgendwoher eine Gefahr drohte. Als er aus dem Augenwinkel draußen vor dem Tor etwas aufblitzen sah, schlang er einen Arm um Tweeds Hüfte und riss ihn mit einem Ruck zu Boden, wo Tweed mit dem Gesicht nach unten auf dem Rasen zu liegen kam.
Eine Kugel pfiff etwa eineinhalb Meter über dem flach auf dem Bauch liegenden Tweed hinweg, und vom Waldrand her war der trockene Knall eines Schusses zu hören.
»Nicht bewegen!«, rief Marler. »Unten bleiben!«
Sekunden später hatte er sein Armalite aus der Golftasche gezogen und das Zielfernrohr aufgesteckt. Er wusste genau, wo der Schütze sich verborgen hatte, denn er hatte nicht nur gesehen, wie die Sonne vom Zielfernrohr reflektiert wurde, sondern auch den Blitz des Mündungsfeuers. Er hob das Gewehr, zielte kurz und feuerte einen Schuss auf das Gestrüpp hinter dem Parktor ab. Nachdem er ein paar Sekunden gewartet hatte, schoss er ein zweites Mal. Dann sprang er auf und rannte schnell wie eine Antilope auf das Tor zu.
»Los, laufen Sie ins Haus!«, rief er Tweed über die Schulter zu. »Und zwar im Zickzack. Machen Sie mir das Tor auf!«
Jacques’ Verblüffung währte nur kurze Zeit. Die erste Kugel hatte ihn nur um ein paar Zentimeter verfehlt, die zweite sogar an der linken Schläfe gestreift.
Drinnen im Park sah er einen Mann auf das Tor zulaufen, den er sofort erkannte – schließlich hatte er sich die Fotos, die ihm Doubenkian von den Mitgliedern von Tweeds Team gezeigt hatte, genau eingeprägt.
»Verdammter Mist, das ist Marler«, stieß er leise hervor. »Nichts wie weg hier!«
Er sprang auf und rannte wie ein Verrückter durch das Gestrüpp, ohne sich um die Dornenranken zu scheren, die ihm Arme und Gesicht zerkratzten.
Völlig außer Atem kam er bei seinem Motorrad an, das zum Glück auf Anhieb ansprang. Während er sich auf den Sattel schwang, sah er zu seinem Entsetzen das Parktor aufgehen.
Marler rannte hinaus auf die Straße, hob sein Armalite und zielte auf den Motorradfahrer, der sich in rascher Fahrt entfernte. Er hatte seinen Rücken genau im Fadenkreuz und wollte gerade abdrücken, als die Maschine einen raschen Schlenker machte und um eine Kurve verschwand.
Mit einem leisen Fluch ließ Marler das Gewehr wieder sinken.
»Das nächste Mal entkommst du mir nicht«, sagte er leise.
Kurz zuvor war Tweed ins Haus gerannt und hatte Lavinia, die gerade in der Halle stand, zugerufen: »Schnell! Öffnen Sie das Tor!«
Lavinia
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