Todeskind: Thriller (German Edition)
und Daphne kam heraus. Sie hielt die Wanderstiefel an den Schnürsenkeln und trug ein paar flache Slipper. Es gibt keinen Grund mehr, für eine Suche im Wald gekleidet zu sein. Joseph stellte fest, dass sie Lippenstift aufgetragen hatte.
Als sie sich auf den Stuhl sinken ließ, nahm er schwach die Aromen von Zahnpasta und Pfirsich wahr. Er wusste, dass ihre Handcreme nach Pfirsich duftete, seit er am Nachmittag im Observationsraum der Verhörabteilung ihre Hand gehalten hatte.
Nun nahm sie die Schultern zurück und blickte auf. »Also gut, Dr. Brodie, ich höre.«
Hunt Valley, Maryland
Dienstag, 3. Dezember, 20.00 Uhr
Mitch trat einen Schritt zurück und betrachtete sein Werk stirnrunzelnd im Licht der Taschenlampe. Er hatte in Odums Keller bessere Arbeit geleistet, aber hier draußen im Dunkeln war es schwerer, die Buchstaben aneinanderzureihen. Keine Ahnung, wie die Botschaft im Tageslicht wirken würde und ob Tierblut getrocknet anders aussah als Menschenblut.
Es war nicht die Botschaft, die er am liebsten geschrieben hätte. Die würde kommen, nachdem man Ford endlich gefunden hatte.
Hast du mich vermisst?
Im Augenblick war es allerdings Ford, der immer noch vermisst wurde. Was war denn los mit dem Jungen? Er hätte längst in der nächstbesten Stadt auftauchen müssen, aber in einem Umkreis von fünfzig Meilen um Wilson Becketts Hütte herum hatte kein Polizeisender etwas gemeldet.
Er hatte gewusst, dass er vielleicht zurückkommen und ihm helfen musste, aber er war doch davon ausgegangen, dass der Bursche lumpige zwanzig Meilen marschieren konnte. Er knipste die Taschenlampe aus und verstaute seine Sachen im Van.
Hoffentlich waren die Straßen durch die Berge frei. Er musste am Vormittag wieder zu Hause sein. Vielen Dank auch, Cole. Als Mitch nach dem dringend benötigten Nickerchen aufgewacht war, hatte ihn auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht von Coles Beratungslehrerin erwartet, die mit Coles »Vormund« Betty Douglas über Coles Verhalten sprechen wollte.
Mitch konnte nur hoffen, dass sie ihm die Geschichte von einer gesundheitlich angeschlagenen Tante, die ans Haus gebunden war, auch dieses Mal wieder abkaufen würde. Andernfalls musste er noch einmal eine alte Frau engagieren, die Betty spielte. Er hatte das bereits in Florida getan, weil er noch auf Bewährung gewesen war und die Polizei nicht darauf aufmerksam machen wollte, dass er Maryland ohne Erlaubnis verlassen hatte.
Nach ihrer gemeinsamen Rückkehr nach Baltimore hatte er es erneut tun müssen, denn Betty war gestorben, und Mitch hatte unter dem Radar bleiben wollen. Daher hatte er sie in aller Stille hinten im Garten vergraben, ohne jemanden zu benachrichtigen. In ihrem Testament hatte sie ihm das Haus vermacht, und das Wissen reichte ihm. In seinen Augen war es weder nötig noch wünschenswert, in irgendeinem Grundstücksregister als Eigentümer gelistet zu werden. Und natürlich hatte er ganz und gar nichts gegen die Zahlungen der Sozialversicherung einzuwenden, die noch immer jeden Monat auf Bettys Konto eingingen. Es war nicht gerade viel Geld, füllte ihnen aber den Kühlschrank, was in Anbetracht der Tatsache, dass Cole futterte wie ein Scheunendrescher, eine ziemliche Erleichterung war. Klar, er hatte jede Menge Kohle im Keller, aber davon hatte Cole eigentlich nichts wissen sollen. Mitch runzelte finster die Stirn. Der Junge fraß ihm die Haare vom Kopf und machte nur Ärger.
Falls möglich, wollte er bei Tagesanbruch wieder hier auf Daphnes Farm sein. Nur um die Reaktion der Person zu sehen, die sein Stallgemälde entdeckte. Er hätte sich gewünscht, dass es Daphne selbst sein würde, aber das FBI hatte sie in Sicherheitsverwahrung genommen. Man würde ihr kaum erlauben, die ganze Strecke bis Hunt Valley zurückzulegen.
Aber das war nicht schlimm. Was er bisher gemacht hatte – der Keller, der Stall –, waren nur Aufwärmübungen. Vorgeplänkel. Die kleine Senke, das Antäuschen vor der eigentlichen Achterbahngaudi. Lebt Ford? Ist er tot? Lebt er doch noch? Bald schon würde sich herausstellen, dass Sohnemann tatsächlich noch am Leben war, aber dann würde er die magischen Worte sagen und ihre kleine Welt mit allem, was ihr vertraut und lieb war, vernichten.
Hast du mich vermisst?
Die vier kleinen Wörtchen waren der Schlüssel, um Daphne Montgomerys persönliche Dämonen aus der Kiste zu lassen. Und wenn man bedenkt, dass ich nie davon erfahren hätte, wäre ich nicht im Knast gewesen!
Für die
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