Todeskind: Thriller (German Edition)
Virginia
Donnerstag, 5. Dezember, 14.30 Uhr
Joseph war so verblüfft, Ford zu sehen, dass er ihm wortlos Daphne überließ. »Bring sie zu meinem Wagen, okay?«, sagte er schließlich leise.
»Was ist da unten passiert?«, fragte Ford mit unsicherer Stimme, während seine Mutter sich schluchzend an ihn klammerte.
Deacon hatte sich zu ihnen gesellt. »Ich hätte mir denken können, dass du ihn herbringst«, sagte Joseph säuerlich.
»Er hat behauptet, sie würde ihn an ihrer Seite brauchen«, antwortete Deacon. »Und damit hat er recht gehabt.«
»Ich habe Sie gefragt, was passiert ist, Agent Carter!«, fuhr Ford ihn an. Der Junge war blass und zitterte.
»Heather ist noch am Leben und ansprechbar. Der Krankenwagen hat sie gerade weggebracht. Sie hat mich gebeten, dir zu danken, dass du ihre Tasche mitgenommen und ihr dadurch das Leben gerettet hast.«
Ford nickte mit zusammengepressten Lippen. »Und weiter?«
Joseph begegnete Fords aufgewühltem Blick. »Beckett scheint Fotos seiner Opfer zu sammeln. Sie hängen in chronologischer Reihenfolge an der Wand. Das erste Bild zeigt die Cousine deiner Mutter.« Die Polaroidaufnahme des kleinen, verschüchterten Mädchens mit den blonden Zöpfen würde er nicht erwähnen. »Heather war Nummer sechsundzwanzig. Das war hart anzusehen.«
Ford schnappte nach Luft. »Sechsund… sechsundzwanzig? Oh Gott.«
»Wie wär’s, wenn du deine Mutter zu meinem Wagen bringst, Ford?«, wiederholte Joseph. »Sie zittert.« Und du auch, Junge.
Er gab Ford den Schlüssel. Als Mutter und Sohn auf dem Rücksitz des Escalade saßen, wandte sich Joseph an Deacon. »Was hast du dir bloß dabei gedacht?«
»Dass es wichtig für sie ist, dass er hier ist, und umgekehrt.« Deacons Miene war wie versteinert. »Hast du dir noch nie im Rückblick gewünscht, du hättest Dinge anders gemacht? Du wärst zum Beispiel für einen geliebten Menschen da gewesen, als er dich unbedingt brauchte?«
Joseph dachte an Jo. »Doch.«
»Siehst du? Ich auch. Und deswegen habe ich ihn mitgenommen.« Deacon sah zur Seite. Sein Blick war hart. »Was hast du ihm eben verschwiegen?«
»Dass Daphne auf dem zweiten Bild war.«
Deacon erbleichte. »Ach du lieber Himmel. Dieses Schwein.«
Ja, ich weiß. »Wenn die Spurensicherung fertig ist, können wir die Fotos abnehmen und mit Bildern von vermissten Personen vergleichen. Wir sollten wenigstens ein paar von den Mädchen identifizieren können. Aber solange die Dinger dort hängen, setzt mir der Junge keinen Fuß da hinunter, klar?«
»Klar. Hast du irgendeinen Hinweis auf Kimberly und ihre Schwester entdeckt?«
»Nein. Es könnte aber noch mehr Verstecke geben. Wir sollten die Hunde anfordern. Und die Leichensuchhunde auch. Kellys Leiche ist in Ohio gefunden worden, Daphne und Heather sind entkommen. Bleiben noch dreiundzwanzig weitere Opfer. Wenn wir davon ausgehen, dass keines der anderen Mädchen weglaufen konnte, muss er ihre Leichen irgendwo entsorgt haben. Und da ist das Grundstück um die Hütte herum genauso wahrscheinlich wie jede andere Stelle.«
»Wir könnten das Gebiet mit einem Bodenradar absuchen, bevor wir zu graben anfangen. Dann wissen wir, worauf wir uns einstellen müssen, und vernichten keine möglichen Beweise.«
»Gute Idee«, sagte Joseph.
»Nur leider nicht auf meinem Mist gewachsen. Ciccotelli hat mir davon berichtet. Er hat bei einem Fall in Philadelphia GPR eingesetzt – auf dem Friedhof eines Serienmörders, wie sich herausstellte. Bei diesem Fall hat er übrigens seine Frau kennengelernt. Sie war die Archäologin, die die Untersuchung vorgenommen hat. Ciccotelli ist damals auf neun Gräber gestoßen. Könnte sein, dass wir ihn schlagen.«
»Würde Mrs. Ciccotelli uns helfen?«
»Sie ist im achten Monat schwanger, also würde ich die Frage eher verneinen. Aber ich kann ihn anrufen und bitten, uns jemanden zu empfehlen. Andernfalls telefoniere ich die Unis ab.«
»Guter Plan.« Joseph warf einen Blick zurück zur Hütte. »Du leitest diesen Teil der Ermittlung. Finde die Überreste der Opfer und alles an persönlichen Gegenständen, die ihnen gehört haben könnten. Bringen wir den Familien Gewissheit.«
»Wer übernimmt die Benachrichtigungen?«
»Ich koordiniere das. Wir machen das im Team.«
Deacons Blick flackerte, und Joseph glaubte, plötzlich Panik in den Augen des anderen zu entdecken. »Das kannst du besser als ich, Joseph. Jeder kann das besser als ich.«
»Keiner von uns kann das.« Dreiundzwanzig
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