Todeskind: Thriller (German Edition)
Richtige tun zu können! Es tut mir so leid, Daddy. Ich wollte nicht, dass dir das passiert. Oder Mama. Oder mir.
Sie war schon lange keine acht Jahre mehr alt, doch die Angst hatte sie nie verlassen. Und nun, mit fünfunddreißig, spürte sie, wie die Wörter das Tempo drosselten, sich zurückzogen … Nein! Nicht wieder. Sie konzentrierte sich, atmete den Duft von Scotts Jacke ein. Schaufelte die Wörter wieder frei.
»Und ich auch«, sagte sie, als sie ausatmete. »Ich war auch verschwunden.« Sie schluckte schwer, als ihr bewusst wurde, dass alle sie ansahen. »Ich musste eben an den Abend denken, an dem der Sheriff mich nach Hause brachte. Alle saßen da und warteten, genau wie heute. Es war ein Moment, der mein weiteres Leben bestimmt hat.«
Hector beobachtete sie eingehend. »Was ist mit ihr passiert? Mit Ihrer Cousine, meine ich?«
»Sie wurde später gefunden.«
Hector zog die Brauen hoch. »Lebend?«
»Nein.« Daphne konnte nicht mehr schlucken, weil ihr Mund trocken wie Staub war. Scott stellte eine Teetasse vor sie, und sie nippte dankbar daran. Hector wartete mit leicht geneigtem Kopf, und Daphne seufzte. »Man fand die Leiche meiner Cousine irgendwo im Wald in Ohio, ungefähr eine Woche nachdem ich nach Hause gekommen war. Sie war siebzehn gewesen.«
»Und der Täter?«
»Wurde nie gefasst. Es war … einer von jenen Fällen, bei denen der Böse davonkommt.«
»Das tut mir leid«, sagte Hector mitfühlend, aber sein Blick war noch immer wachsam.
»Es ist lange her«, bemerkte Daphne.
»Es ist Vergangenheit«, murmelte ihre Mutter. »Gibt es irgendeinen Hinweis, wo Ford sein könnte?«
»Nein«, sagte Daphne. »Aber viele gute Leute sind bereits auf der Suche nach ihm.« Sie straffte sich. »Und wir werden einfach fest daran glauben, dass es ihm gutgeht.«
»Und ob wir das tun«, gab ihre Mutter zurück. »Weil das alles ist, was wir tun können. Das und warten.« Sie begegnete Daphnes Blick, und ihrer war wild entschlossen. »Wir haben schon einige harte Zeiten durchgemacht, und wir haben sie überlebt. Ford ist dein Sohn. Auch er wird überleben und zu dir nach Hause kommen.«
»Daran glaube ich«, murmelte Daphne.
7. Kapitel
Dienstag, 3. Dezember, 14.20 Uhr
Das Treffen mit Polizei und VCET-Mitgliedern, das Joseph anberaumt hatte, würde in zehn Minuten beginnen. Während er vom Parkhaus zum Konferenzraum ging, rief er über sein Handy die E-Mails ab. Eine Nachricht war nicht zu übersehen: LIES MICH!, stand in Großbuchstaben in der Betreffzeile.
Sie kam von seinem Vater. Verdammt! Sein Vater wartete seit einer Ewigkeit, dass er sich meldete. Er muss außer sich vor Sorge sein. Genau wie der Rest der Familie. Normalerweise meldete sich Joseph nicht nach jedem gefährlichen Einsatz bei seiner Familie zurück, aber normalerweise wurden seine gefährlichen Einsätze auch nicht im Fernsehen übertragen. Rubys spöttische Worte erklangen in seinem Kopf. Ich bin eine Internetsensation. Großer Gott.
Während er auf den Fahrstuhl wartete, las er die Mail. Joseph, bitte ruf deine Mutter an. Sie und Judy haben die Live-Nachrichten gesehen, als die Schießerei anfing. Sie muss deine Stimme hören. Außerdem haben wir Besuch bekommen, den du uns nicht angekündigt hast.
Joseph schnitt ein Gesicht. Er hatte Bo gebeten, Officer als Schutz zu seiner Familie zu schicken, hatte aber vergessen, seine Eltern vorzuwarnen.
Er wählte sein Elternhaus an. Seine Mutter meldete sich nach dem ersten Klingeln. »Hi, Mom.«
»Joseph.« Sie stieß seinen Namen mit einem Atemzug aus. Offenbar hatte sie die Luft angehalten.
»Mir ist nichts passiert«, sagte er ruhig. »Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst.«
»Ich habe mir keine Sorgen gemacht«, antwortete sie prompt.
»Und ob sie das hat«, hörte er eine andere Frauenstimme. Es war Judy, Graysons Mutter, die auf einer Nebenleitung mithörte. Joseph und Grayson hatten keine gemeinsamen Gene, aber Joseph betrachtete Grayson als seinen Bruder, seit er und seine Mutter vor fast dreißig Jahren zu ihnen gezogen waren.
»Ist mit dir alles in Ordnung, Junge?«, fragte sein Vater, der von einem weiteren Nebenanschluss der Festnetzleitung ihres Hauses telefonierte. »Wir haben es live gesehen.«
»Wirklich, alles ist okay«, versicherte ihm Joseph. »Ich hatte Glück. Es hätte schlimmer kommen können.«
»›Glück‹ würde ich es dennoch nicht nennen«, widersprach Judy. »Du hast mich schwer beeindruckt – nachdem mein Herz endlich wieder
Weitere Kostenlose Bücher