Todeskind: Thriller (German Edition)
hat ihn in Ihr Zimmer gebracht. Also los.«
Ihre Mutter saß im Halbdunkeln, Maggie an ihrer Seite. Als Daphne eintrat, erhob sie sich. Ihr Gesicht war grau. »Baby«, flüsterte sie.
Baby. Daphne erstarrte. Ihr Herz begann zu rasen, sämtliche Luft wich aus ihren Lungen, und plötzlich war sie wieder acht Jahre alt. Ihre Mutter hatte auch an jenem Tag im Dunkeln gewartet, ihr Gesicht – wenngleich jung und glatt – war ebenso grau gewesen. Nur die Couch, auf der sie gesessen hatte, war nicht aus Leder, sondern aus billiger Kunstfaser gewesen, und Maggie hatte es in ihrem Leben auch noch nicht gegeben.
Stattdessen hatte ihr Vater hinter ihrer Mutter gestanden. Daddy. Das gutaussehende Gesicht ihres Vaters war rot gewesen, die Augen vom Weinen geschwollen. Es tut mir so leid, Daddy.
Tante Vivien hatte im Schaukelstuhl gesessen und in einem hektischen, abgehackten Rhythmus geschaukelt. Sie alle hatten angstvoll, doch gleichzeitig voller verzweifelter Hoffnung darauf gewartet, dass der Sheriff das Wort ergreifen würde. Er war ein großer Mann gewesen, der Sheriff. Er hatte die Erwachsenen angesehen und sich plötzlich überrascht umgedreht, um hinter sich zu blicken.
Daphne hatte sich ganz klein gemacht und hinter den Beinen des Sheriffs versteckt. Sie waren wie Baumstämme gewesen. Groß und dick wie Baumstämme. »Was machst du denn da, Kind? Du bist zu Hause!«, hatte er mit dröhnender Stimme gerufen. Er hatte sie vom Boden aufgehoben und die Stirn gerunzelt, als sie zu schreien begonnen und sich an ihn geklammert hatte.
Es war das reine Chaos gewesen. Ihre Mutter, ihr Vater hatten nach ihr gegriffen, während ihnen die Tränen der Freude über die Wangen gelaufen waren. Tante Vivien hatte hysterisch gekreischt: »Wo ist Kelly? Wo ist sie? Wo ist meine Tochter?«
Noch da. Bei den Katzen. Und dem Mann.
Da bin ich wieder. Hast du mich vermisst?
Nein. Nicht dran denken. Nie mehr dran denken. Nie wieder!
»Daphne. Daphne, komm zurück.«
Daphne zog scharf die Luft ein und atmete tief durch. Sie spürte etwas im Rücken. Jemand hat mir einen Klaps versetzt. Sie blinzelte, und Maggie trat in ihr Gesichtsfeld. Sie lächelte ihr aufmunternd zu, doch ihr Blick war voller Furcht. Daphne sah zu ihrer Mutter, die die Hände rang, und ertappte sich dabei, wie sie den Raum nach Simones älterer Schwester absuchte. Aber Tante Vivien war nicht hier. Sie war vor fünf Jahren gestorben.
Und ihr Vater? Daddy, es tut mir so leid. Wo immer du bist, ich hoffe, du kannst mir verzeihen. Traurigkeit drohte sie zu überwältigen, als Maggie sie in die Küche führte. Daphne war sich bewusst, dass Hector und Coppola ihr verdattert hinterhersahen. Im Wohnzimmer entdeckte sie zwei weitere Agents, die dort ihre Computer eingesteckt hatten, um die eingehenden Anrufe zurückzuverfolgen. Für den Moment ignorierte Daphne sie alle.
Im Türrahmen zur Küche blieb sie stehen. Ein großer Mann mit silbergrauen Strähnen im Haar stand am Herd und stellte gerade einen Kessel auf die Platte. »Scott«, flüsterte sie und musste wieder Tränen schlucken. »Du bist auch gekommen.«
Wortlos breitete er die Arme aus. Sie trat vor und klammerte sich an ihn, und er hielt sie fest und wiegte sich mit ihr sanft hin und her. Er brachte den Duft nach Stall und Heu mit, und während sie tief ein- und ausatmete, beruhigte sich ihr jagender Puls. Hals Hände rochen immer nach Zitronenöl, Scotts nach Sattelseife. Beides hatte einen tröstenden Effekt auf sie.
Beide Männer hatten wichtige Rollen in ihrem Leben gespielt, beide waren Freunde in einer Zeit gewesen, in der sie sich einsam gefühlt hatte. Beide hatten außerdem persönliche Opfer für sie gebracht.
Dass sie nicht gezögert hatten, ihr in einer solchen Zeit beizustehen, war typisch für sie.
»Natürlich bin ich gekommen«, murmelte Scott. »Das kann dich doch nicht wirklich wundern.«
Der leicht gekränkte Unterton ließ sie zu ihm aufschauen. »Ich hatte einfach nicht mit dir gerechnet. Ich bin davon ausgegangen, dass du bei der Pferdeausstellung in Florida bist.«
»Ich bin gestern nach Hause gekommen. Zwei meiner Kids haben blaue Bänder bekommen.« Scotts »Kids« waren seine Reitschüler. Er war einer der besten Springtrainer im ganzen Bundesstaat und hatte Ford trainiert, seit er alt genug war, um im Sattel zu sitzen. Scott liebte Ford wie einen eigenen Sohn, und Hal und er hatten ihm den Vater ersetzt, der Travis ihm nie gewesen war. Nicht einmal zu sein versucht
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