Todeskleid: Thriller (German Edition)

»Sie hat gar keinen Abschluss gemacht?«, sagte Paige. »Hat sie vorher die Schule gewechselt? … Ah, verstehe. Sie ist ganz abgegangen. So was … Ich sollte ihre Bewerbung in den Müll schmeißen, aber eigentlich hat sie mir gut gefallen. Ich würde ihr gerne eine Chance geben. Darf ich Ihnen noch eine Frage stellen? Hier steht, sie sei auf die Samuel Ogle Middle School gegangen. Es wäre toll, wenn ich wenigstens diese Bestätigung … Nein? Wo war sie dann? … Longview Ridge. Verstanden, vielen Dank für Ihre Mühe.«
    Paige legte auf. »Die Middle School habe ich schon mal«, sagte sie zufrieden.
    »Kann sein, aber du weißt nicht, ob diese Schule Geld vom MAC-Projekt bekommen hat und ob sie zu den begünstigten Schülern gehörte.«
    »Oh, ihr Ungläubigen. Anruf Nummer zwei: die Bibliothekarin der Middle School.«
    »Wieso die Bibliothekarin?«
    »Weil jeder Schüler irgendwann in die Bücherei muss und man dort nicht zu Verschwiegenheit verpflichtet ist wie im Sekretariat. Außerdem hätte die Bücherei von den Spendengeldern profitiert, ohne dass man dort direkten Kontakt zur Organisation gehabt hätte, so dass wenig Gefahr besteht, dass uns die Bibliothekarin bei den McClouds verpetzt.«
    »Und wenn es gar nicht mehr dieselbe Bibliothekarin ist?«
    »Dann erfahren wir vielleicht den Namen der ehemaligen und rufen die an. Jetzt sei still«, zischte sie, als er den Mund öffnete, um den nächsten Zweifel zu äußern. Paige suchte wieder im Netz nach der Homepage der Schule und wählte dann. »Können Sie mich bitte mit der Schulbibliothek verbinden? Danke.« Man leitete sie weiter, und sie hörte die Stimme einer älteren Frau. Perfekt.
    »Sie sind mit der Bibliothek verbunden, Mrs. White am Apparat.«
    »Hallo, Mrs. White, mein Name ist Brittany Jones.« Grayson riss die Augen auf und wollte etwas sagen, aber Paige machte eine abwehrende Geste. »Meine Schwester war vor vierzehn Jahren an Ihrer Schule. Sie hieß Crystal. Können Sie sich vielleicht an sie erinnern?«
    »Lassen Sie mich nachdenken«, sagte Mrs. White. »Das muss dann … wann gewesen sein? Achtundneunzig? Das war das Jahr, in dem wir neue Computer bekamen. Aber ja, natürlich erinnere ich mich an Crystal. Sie hatte wunderschöne goldblonde Ringellocken. Wie geht’s ihr?«
    »Ähm, na ja … sie ist tot, Ma’am. Sie wurde vor sechs Jahren ermordet.«
    »O nein!« Mrs. White schnappte schockiert nach Luft. »Wie schrecklich. Lieber Gott!«
    »Ja, es war wirklich schrecklich«, sagte Paige sachlich. »Ich bin vor kurzem umgezogen und dabei auf persönliche Dinge von ihr gestoßen. Vorher konnte ich mir sie einfach nicht ansehen, verstehen Sie das?«
    »Ja, das verstehe ich«, sagte Mrs. White traurig. »Ach, mein liebes Kind, das tut mir so leid zu hören.«
    »Crystal hat mir früher immer vorgelesen. Ihretwegen liebe ich Bücher. Unter ihren Sachen war auch ein Buch aus Ihrer Bücherei. Deswegen rufe ich an. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich es gerne behalten und Ihnen ein Ersatzexemplar schicken.«
    »Aber sicher, meine Liebe, kein Problem. Wenn es sonst noch etwas gibt, was ich tun kann …«
    »Vielleicht ja. Mrs. White, in dem Karton habe ich eine Art Medaille gefunden, eine aus Plastik. Ich weiß noch, dass Crystal sie während ihrer Schulzeit bekommen hat, aber ich kann mich nicht erinnern, wofür sie war. Sie ist ziemlich zerkratzt, aber es stehen die Buchstaben M-A-C drauf.«
    »M-A-C?« Die Bibliothekarin schwieg einen Moment. »Oh, MAC. Ja, das war ein Programm unter dem Vorsitz irgendeines Politikers. McNeal, McGee oder so ähnlich. In den Neunzigern wählten sie jedes Jahr ein paar Schulen aus und förderten sie. Daher hatten wir auch die neuen Computer. Inzwischen wurden sie schon zweimal ausgetauscht – heutzutage sind solche Geräte ja so schnell veraltet.«
    »Wissen Sie noch, wie meine Schwester an diese Medaille kam?«
    »Ich kann mir vorstellen, dass man sie ihr auf der Party, die die Leute von der Stiftung veranstaltet haben, überreicht hat. Diese Feier fand bei dem Politiker zu Hause statt. Ich weiß noch, dass es Eis gab. Die Kinder reichten einen Aufsatz und ein Bild von sich ein, und die Organisation wählte eines aus. Ihre Schwester war die Glückliche.« Mrs. White schluckte hörbar. »Sie hatte ein neues Kleid bekommen, ein blaues, und sie war so stolz darauf. Sie hat es einen Tag vor der Party zur Schule angezogen, um es mir zu zeigen. Ich gehe davon aus, dass Sie beide nicht oft neue