Todeskleid: Thriller (German Edition)
arbeiten vielleicht zusätzlich noch ehrenamtlich. Deswegen bleiben viele dieser Verbrechen unentdeckt. Bin ich überrascht, dass Ihr Großvater Kinder sexuell missbraucht hat? Ein bisschen. Bin ich schockiert? Ich wünschte, es wäre so.«
»Als ich ein Kind war, habe ich ihn für einen Helden gehalten. Ich war der festen Überzeugung, er würde niemals etwas Falsches tun.«
»Und dann haben Sie etwas gesehen?«, fragte Paige. »Erzählen Sie es uns, Rex. Wir müssen es wissen.«
»Ich habe ihn gesehen.« Rex’ Adamsapfel bewegte sich angestrengt auf und ab. »Sie hatte Angst. Sie hat sich gewehrt, aber er hat sie geschlagen. Als sie schreien wollte, hat er ihr den Mund zugehalten und … es getan. Und sie war doch noch so klein.«
»Und was haben Sie unternommen?« Paiges Stimme klang belegt.
»Ich …« Rex’ Gesicht verzerrte sich. »Nichts. Ich habe nichts unternommen. Ich bin abgehauen.«
Es war erstaunlich, wie viele Schuldgefühle man sich machte, wenn man im falschen Moment davonlief, dachte Grayson mit einem Anflug von Müdigkeit. Ich war erst sieben. Rex war vierzehn. Ist das alt genug, um Hilfe zu leisten? Was kann man von einem Vierzehnjährigen erwarten? Er wünschte, er wüsste eine Antwort darauf. »Und dann?«
»Die Kinder wurden in unserer Limousine nach Hause gebracht. Natürlich wurde mehrmals gefahren – immer ein paar pro Tour. Außerdem gab’s Eis und eine billige Plastikplakette«, sagte er verbittert.
»Aber das Mädchen hat doch geweint«, sagte Paige. »Ist das denn niemandem aufgefallen?«
»Er hat ihr gesagt, dass ihr ohnehin niemand glauben würde«, murmelte Rex. »Und dass er ihre Eltern umbringen lassen würde, wenn sie etwas verriete. Er hat ihr weisgemacht, wenn sie ein braves Mädchen wäre, dann bekämen ihre Eltern Geld und es ginge ihnen gut.«
»Ihr Großvater hat das gesagt?«
»Nein. Der Chauffeur. Er lebt nicht mehr, Sie können ihn also nicht fragen. Aber ich habe es gehört. Der alte Mann war fertig mit der Kleinen und ließ sie einfach heulend liegen. Dann kam der Fahrer rein und sorgte dafür, dass sie nach Hause gebracht werden konnte. Er hat sie … sauber gemacht. Damit niemand etwas bemerkte.«
Paige konnte kaum noch sprechen. »Wann ist der Chauffeur gestorben?«
»Kurz nachdem diese Partys aufhörten. Hat sich umgebracht. Überdosis. Tabletten.«
Grayson und Paige sahen einander an. »Wo haben die Übergriffe stattgefunden?«
»Im ehemaligen Zimmer meiner Mutter. Ein echter Klein-Mädchen-Traum.«
Vielleicht war auch Rex’ Mutter in diesem Zimmer missbraucht worden, dachte Grayson, aber er schob diesen traurigen Gedanken erst einmal zur Seite. Er musste sich auf Rex’ Beichte konzentrieren. »Wohnte Ihre Mutter zu diesem Zeitpunkt ebenfalls auf dem Grundstück?«
»Nein. Sie lebt schon lange in Europa. Wenn sie in den Staaten ist, hat sie eine Wohnung in dem Haus da drüben.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf das McCloud-Gebäude gegenüber. »Aber meistens ist sie auch da nicht zu finden.«
»Wie konnten Sie den Chauffeur denn hören?«, fragte Paige. »Ich dachte, Sie sind weggelaufen.«
»Weggelaufen bin ich nachher. Währenddessen habe ich mich im Schrank versteckt. Am Anfang war ich zu schockiert, um rauszukommen. Dann hatte ich Angst.«
»Haben Sie es jemandem erzählt?«, fragte Grayson.
»Ja. Meiner Mutter. Ich rief sie am nächsten Tag an. Sie sagte, es sei nicht geschehen, ich bilde mir das nur ein. Und wenn ich es noch jemandem erzählte, dann würde sie behaupten, ich hätte Wahnvorstellungen oder würde lügen. Und sie würde mich wegschicken.«
»Was sie, laut Betsy, sowieso getan hat«, sagte Paige.
Rex zuckte die Achseln. »Sie konnte meinen Anblick noch nie ertragen, selbst nicht, als ich noch ein Kind war. Es spielt keine Rolle.«
»Doch, tut es«, sagte Paige sanft. »Das tut es doch, Rex.«
»Meinetwegen. Jedenfalls wissen Sie es jetzt. Und Sie denken wirklich, Sie könnten etwas unternehmen?«
»Wir werden die einzige Frau finden, die noch lebt«, sagte Grayson. »Und dann bitten wir sie, es öffentlich zu machen. Falls sie es tut – würden Sie aussagen?«
Rex schüttelte den Kopf. »Ich habe noch einen Treuhandfonds. Wenn ich aussage, drehen sie mir auch den letzten Geldhahn zu.«
»Wer im Gefängnis sitzt, kann keine Geldhähne zudrehen«, bemerkte Paige verärgert.
Rex lachte unfroh. »Niemand wird ins Gefängnis gehen. Hier handelt es sich um die McClouds, schon vergessen? Die können tun und
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