Todeskleid: Thriller (German Edition)
auf, und erst jetzt begriff er, dass diese Frau, die ihm so furchtlos vorgekommen war, sich anscheinend vor Krankenhäusern fürchtete. Nach seiner Erfahrung gab es für solche Ängste immer einen Grund, und er hätte gerne gewusst, was bei ihr dahintersteckte.
Ja, sie war tapfer, aber im Augenblick angreifbar. »Sie wollen meine Hilfe?«, sagte er kühl. »Dann gehen Sie brav ins Krankenhaus.«
»Das ist Erpressung«, sagte sie wieder. Sie zitterte nun heftig. Am liebsten hätte er sie losgelassen, wäre sie nicht so stark verletzt gewesen.
»Wie ich schon sagte«, fuhr er fort. »Der Zweck heiligt die Mittel.«
»Aber nicht festhalten!« Sie atmete nun schwer, ihre Panik wuchs genauso schnell, wie sich der Krankenwagen näherte. Sie stellte ihre Füße fest auf den Beton und versuchte, sich hochzustemmen. »Lassen Sie mich los. Bitte! «
Smith spürte, wie er unruhig wurde. Er hatte genug Opfer von Überfällen kennengelernt, um die Anzeichen zu erkennen. Die Wunde am Hals konnte genäht werden, doch was immer hinter ihrer Angst steckte, ging weit tiefer. Er lockerte den Griff. »Verzeihen Sie. Das wusste ich nicht.«
Sie sank zurück, ließ sich gegen ihn fallen. Auf ihrer Stirn standen Schweißtropfen. »Ich gehe ins Krankenhaus, ich versprech’s, aber halten Sie mich nicht mehr fest. Bitte nicht.«
»Es tut mir leid«, sagte er leise. »Ich wollte Ihnen keine Angst machen.«
Ihr Blick begegnete seinem. »Bitte gehen Sie nicht.«
Grayson strich ihr mit der Hand übers Haar, als der Krankenwagen neben ihnen hielt. »Ich lasse Sie nicht allein. Schließen Sie die Augen, und atmen Sie ein und aus.« Sie gehorchte, und er konnte sehen, wie sie sich zu beruhigen versuchte. Plötzlich wurde ihm bewusst, wie schnell sein eigenes Herz hämmerte. Sein Magen brannte. Er spürte das Adrenalin durch seine Adern pulsen, spürte Furcht und noch etwas anderes … Bewunderung.
Sie hatte am Morgen Schlimmes erlebt, und doch wollte sie nur das Richtige tun. Und sie ist zu mir gekommen.
Sie hatte einen Angriff auf ihr Leben abgewehrt und lag nun verängstigt und verletzt in seinen Armen. Aber sie vertraut mir.
Er zögerte, dann strich er ihr mit den Fingern über die Wange. Ihre Haut war gerötet, aber so weich. »Alles wird wieder gut«, murmelte Grayson. »Ich lasse Sie nicht im Stich.«
Dienstag, 5. April, 12.30 Uhr
Er sah auf, um sein Werk zu betrachten. Die Leiche schwang hübsch hin und her, die Knoten in den Laken hielten. Selbst für ein sehr geübtes Auge sah das hier nach einem Selbstmord aus. Er hatte ziemlich viel Übung darin, Todesfälle nach etwas aussehen zu lassen, was sie nicht waren.
Säuberungsaktionen waren seine Spezialität geworden, und Denny Sandoval war schon seit langem ein Ärgernis, das es zu beseitigen galt. Nun, beseitigt war es.
Doch zuvor hatte Denny all seine Geheimnisse preisgegeben. Zumindest die, die mich interessiert haben.
Er sah sich prüfend in dem Raum um. Alles war dort, wo es sein sollte. Der Abschiedsbrief, den Denny freundlicherweise geschrieben hatte, lag auf der Kommode. Sein Koffer war wieder verstaut, die Kleider sorgfältig in die Schubladen geräumt. Nichts würde darauf hinweisen, dass er eine Flucht geplant hatte.
Dennys Handy hatte er bereits überprüft. Keine Gespräche, die Anlass zur Besorgnis gegeben hätten. Bis auf den Anruf bei Silas, doch zum Glück hatte er sich auf dem »Geschäftshandy« gemeldet. Die Spur würde ins Leere führen, sollte die Polizei Sandovals Anrufliste überprüfen, weil er mit Elena telefoniert hatte, kurz bevor sie gestorben war.
Elena Muñoz. Das war eine ganz andere Geschichte. Ihre List hatte zu ihrem Tod geführt. Und mir eine verfluchte Menge Ärger bereitet. Sie hatte sich als weit gerissener herausgestellt, als er ihr zugetraut hatte. Nicht, dass es besondere Klugheit gebraucht hätte, um Denny auszutricksen.
Ich hätte ihn schon vor sechs Jahren töten sollen. Aber dann hätten die falschen Leute die Brauen hochgezogen, also hatte er den Barbesitzer am Leben gelassen. Voller Verachtung betrachtete er Dennys baumelnden Leichnam. Dieser Vollidiot hatte ja unbedingt Muñoz’ Frau vögeln müssen, außerdem hatte er Fotos von der Geldübergabe behalten. Fotos, das musste man sich mal vorstellen!
Denny hatte es natürlich abgestritten. Lautstark zunächst. Weniger lautstark nach ein paar Kostproben seiner »Überredungskünste«. Schließlich hatte er alles haarklein erzählt. Er hatte an jenem Abend eine Kamera
Weitere Kostenlose Bücher