Todesküsse
und zauberte ein lockendes Lächeln auf ihre Lippen. Im spitzen Winkel schaute ich gegen ihr Gesicht. Die Züge wirkten angespannt. Sie freute sich darauf, endlich zuschlagen, das heißt, küssen zu können.
Noch sprach sie nicht. Dafür vernahm ich ihr Räuspern, als wollte sie sich endlich den Rachen frei machen, um den Todeskuß geben zu können.
Der Gefangene sagte nichts. Er stand in seinen Fesseln und schrak nicht einmal zusammen, als Jill ihre beide Hände ausstreckte und sie auf die Schultern des Gefangenen legte.
Er war kleiner als ich, dafür dunkelhaarig und wirkte wie ein Südländer. Die etwas dunklere Haut, das scharfe Profil und schmale Lippen, soweit ich es erkennen konnte.
Er tat mir leid. Ich wußte, welche Qualen er erleiden würde, wenn er den Todeskuß empfangen hatte.
Natürlich wollte ich nicht untätig bleiben. Ich versuchte, meine Fesseln zu lockern, aber die verdammten Stricke waren einfach zu hart um mich und die Säule gespannt worden, so daß sie auch durch meine Kleidung in die Haut schnitten.
Ich war nicht der einzige, der versuchte, sich zu befreien. Auch die anderen drei wollten sich vorbeugen und die Stricke zerreißen. Sie schafften es ebensowenig wie ich, denn die straff gespannten Seile hielten wie Stahldraht.
Und Jill lächelte immer noch. Sie öffnete den Mund noch weiter und streckte die Zunge heraus, um sie anschließend über ihre roten Lippen kreisen zu lassen.
Dann küßte sie.
Es war eine harte ruckartige Bewegung, mit der sie die letzte Distanz überwand. Und ebenso hart und fordernd drückte sie ihre Lippen auf den Mund des Gefesselten.
Sie küßte ihn hungrig, gierig. Wie zwei Menschen, die sich liebten und nach langer Trennung wieder zusammengefunden hatten. Dabei blieb sie nicht still stehen. Sie bewegte ihren Körper und im gleichen Rhythmus auch ihren Kopf.
Sie drehte den Kopf auf die Lippen des Gefangenen. Ihre Wangen zuckten dabei, für mich ein Zeichen, daß sie auch ihre Zunge bei diesem Todeskuß mit ins Spiel brachte.
Der Mann stand unbeweglich. Nach einer Weile, er wurde noch immer geküßt, bewegten sich plötzlich seine Knie. Durch sie liefen ein Beben. Vielleicht wäre er gefallen, hätten ihn die Fesseln nicht gehalten und an die Säule gepreßt.
Zudem lagen noch die Hände der Frau zu beiden Seiten seines Kopfes, sie streichelten, sie bewegten sich, als wollten sie den Schädel des Mannes verformen.
Mir kam die Zeit doppelt so lang vor. Wie mußte erst der andere Gefangene leiden!
Plötzlich war es vorbei!
So heftig wie Jill den Kuß begonnen hatte, so beendete sie ihn auch. Sie zog ihren Kopf zurück und trat gleichzeitig einen Schritt nach hinten, wobei sie ein Lachen ausstieß. Ihre Augen funkelten, sie drehte sich halb um und schaute mit einem triumphierenden Blick ihre große Meisterin, Rowena de Largo, an.
Die Sphinx nickte. Sie war mit der Aktion voll zufrieden, das sah ich auch an ihrem Gesicht.
Wie aber ging es mit dem Geküßten weiter?
Noch hatte er sich nicht verändert. Er blieb in seinen Fesseln stehen, nur das Zittern seiner Beine hatte nicht aufgehört. Auch schlugen seine Zähne aufeinander. Schweiß bedeckte sein Gesicht. Der Lippenstift war verschmiert und hatte seine Spuren um den Mund und auf der Oberlippe hinterlassen.
Wie würde er sterben?
Still, schreiend — oder…
Ich kam nicht dazu, meine Gedanken zu beenden, denn er stöhnte auf. Ein tiefes, ächzendes und auch schrecklich klingendes Geräusch drang aus seiner Kehle und verließ den offenen Mund. Mit ihm sprühte auch Speichel vor die Lippen. Als kleine Bläschen fand er seinen Weg, bevor er zu Boden fiel und dort nasse Flecken bildete.
»Du wirst die gleichen Qualen zu erleiden haben, wie ich sie erlitt, als ihr mich den Strahlen der Sonne aussetztet«, erklärte Rowena. Ihre Stimme klang dabei fast feierlich. »Und so, wie ihr zugeschaut habt, werde auch ich zuschauen. Für dich gibt es keine Möglichkeit mehr. Du mußt sterben, du wirst sterben…«
Und er starb.
Ich kannte den Todesnebel, den der Würfel des Unheils produzieren konnte, wenn man sich auf ihn konzentrierte. So ähnlich erging es dem Mann an der Säule neben mir.
Auch er veränderte sich allmählich zu einem Skelett, denn seine Haut war weich und gleichzeitig brüchig geworden, so daß sie sich von den Knochen lösen konnte.
Sie fiel einfach ab, wurde begleitet von den Schreien, die schließlich leiser wurden und verstummten.
Ich hatte schon längst nicht mehr zu ihm hingeschaut,
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