Todesküste
wurde die Einheit in den Ruhestand verabschiedet und erst Ende 2000
wiederbelebt. Seitdem ist sie in Vicenza in Italien stationiert.«
»Das könnte heißen …«, überlegte Lüder laut und brach
mitten im Satz ab.
»Was meinen Sie?«, fragte Meister. Aber Lüder ließ ihn
nicht an seinem Gedanken teilhaben. Wenn George Hunter von der US -Botschaft in Berlin seine Suche auf
in Deutschland stationierte Armee-Einheiten konzentriert hatte, mochte es
angehen, dass ihm Jethro Jackson dabei durchs Raster gefallen ist. Es war somit
denkbar, dass Hunter die Wahrheit sprach. Vorausgesetzt, der Mann war wirklich
an der US -Botschaft tätig, wo man
vorgab, ihn nicht zu kennen.
»Ich hatte nur eine Idee«, sagte Lüder und sah den
Professor an. »Ich wollte Sie aber nicht unterbrechen. Entschuldigung.«
»Für Sie dürfte die neuere Geschichte von Bedeutung
sein.« Der Professor hielt Lüder seinen Becher hin. Nachdem erneut nachgefüllt
worden war, nahmen die beiden Männer einen weiteren Schluck.
Lüder spürte, wie ihm der Alkohol langsam zu Kopf
stieg, während seinem Gesprächspartner nichts anzumerken war. Meister hatte
weder Artikulationsprobleme, noch erweckte er den Eindruck, dass ihm die
Verfolgung seines roten Fadens schwerfallen würde. Dabei hatte er bisher
deutlich mehr Alkohol getrunken als Lüder.
»2003 wurde es erneut ernst für die Brigade. Sie
mischte bei der Operation ›Iraqi Freedom‹ mit und sollte im Norden des Irak
eine zweite Front gegen Bagdad aufbauen. Vielleicht erinnern Sie sich, dass der NATO -Partner Türkei seinerzeit die
Nutzung türkischer Flugplätze und das Überfliegen des Luftraumes für den
Angriff auf den Irak verweigert hatte. Im Fernsehen konnten wir alle
mitverfolgen, wie die Amerikaner aus Italien eingeflogen sind.«
Lüder nickte zustimmend.
»Besonders peinlich war die sogenannte Sackaffäre. Bei
einer Razzia in der kurdischen Stadt Silêmanî haben die Soldaten der 173.
Luftlandebrigade einen geheimen Stützpunkt der türkischen Armee ausgehoben. Die
türkischen Soldaten sind mit Säcken über dem Kopf vor den Kameras der Welt
abgeführt worden. Das hat zu schweren diplomatischen Verwicklungen zwischen den
Vereinigten Staaten und der stolzen Türkei geführt, die auch durch eine
Entschuldigung der Amerikaner nicht gänzlich aus der Welt geschafft wurden. Das
war allerdings nicht der einzige Einsatz der ›Sky Soldiers‹. Leider sind die
Archive für uns Historiker noch nicht geöffnet, sodass kursierende Gerüchte
über andere Kriegshandlungen wissenschaftlich nicht belegt sind. Und nach dem
Irak-Einsatz ging es für die Brigade nach Afghanistan. Das ist ein Kapitel, da
muss ich Ihnen nichts zu erzählen. Und wenn die Taliban von Gräueltaten der US -Soldaten sprechen, können wir es aus
unserer Sicht nicht einschätzen. Krieg ist nie etwas Ehrenhaftes, und Unrecht
mag aufseiten aller Beteiligten geschehen. Aber«, Meister hob abwehrend beide
Hände in die Höhe, »ich bin Historiker und nicht Richter.«
Sie wurden durch Lüders Handy unterbrochen. Lüder
entschuldigte sich und nahm das Gespräch an, während Meister zuerst ihn, dann
den Plastikbeutel fragend ansah. Als Lüder nickte, schenkte der Professor nach.
Jonas war am Apparat. In der ihm eigenen hastigen Sprechweise fragte er: »Wo
bist du? Wir haben dich weder im Büro noch auf deinem Gangsterhandy erreicht.«
»Musst du mir ständig hinterherspionieren?«, fragte
Lüder leicht verärgert. »Wenn du es genau wissen möchtest: Ich sitze am Wasser
und trinke Schnaps.«
Ein schallendes kindliches Lachen drang aus dem Hörer.
Dann hatte Jonas ohne jedes weitere Wort aufgelegt.
»Was war das für ein Mensch? Ich meine – das
Mordopfer. Ein Schwarzer?«
Lüder nickte.
»Hm«, sagte der Professor mehr zu sich selbst und fuhr
sich nachdenklich übers Kinn. »Woher?«
»Aus Washington.«
»Herrje.«
Sie schwiegen eine Weile und sahen den immer noch
zahlreichen Spaziergängern zu, die an ihnen vorbeipromenierten. Gelegentlich
warfen ihnen Leute neugierige Blicke zu, insbesondere wenn die Passanten
mitbekamen, dass einer der beiden aus der in einer Tüte versteckten Flasche
nachschenkte.
»Hat das eine besondere Bewandtnis?«
»Was?«
»Sie wirken ein wenig erstaunt, dass es ein Schwarzer
aus Washington ist.«
»Sehen Sie«, sagte Meister gedehnt. Zum ersten Mal
klang seine Stimme ein wenig belegt. »Gerade in der Hauptstadt bildet die
Mehrheit der Schwarzen eine sozial enorm benachteiligte Schicht.
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