Todesläufer: Thriller (German Edition)
aufgelegt.
Grace
»Rühr dich nicht! Hast du mich verstanden?«
Der Schrei hatte sie erreicht, bevor sie vom Waverly Place in die Sixth Avenue einbog. Noch ein paar Schritte, langsamer als zuvor, dann sah sie den Rücken eines Mannes mit grünem Basecap, der den Lauf einer Waffe auf eine zur Fülle neigende Schwarze im anthrazitfarbenen Kostüm gerichtet hielt. Sie hüpfte von einem Fuß auf den anderen. Offenbar wollte sie den tödlichen Apparat in ihrer Brust überlisten.
Das darf doch nicht wahr sein … TJ !
War es wirklich so erstaunlich, erneut auf diesen Typen zu treffen – in einer Stadt, die Subjekten wie ihm genauso ausgeliefert war wie dem beißenden Wind?
Der Kerl, der am Vorabend ihren Vater angegriffen hatte, schwenkte jetzt am hellen Tag drohend dessen Dienstpistole, bereit, sein Opfer niederzuschießen, wenn es nicht tat, was er verlangte.
»Hast du verstanden? Du drückst dich jetzt an das verdammte Gitter hier und rührst dich nicht !«
Er zielte von der Straßenmitte aus auf die Frau. Vermutlich nahm er an, dass ihn zwanzig Schritt Abstand vor der Druckwelle und den umherfliegenden Splittern und Metallstücken schützen würden. Er spekulierte darauf, dass die Explosion ein Loch in das Schaufenster des Juweliergeschäfts sprengen würde und dann für ihn der Weg frei wäre zu den Schätzen im Inneren des Ladens.
Sein Vorhaben war abscheulich …
Er will sie als menschlichen Rammbock benutzen …
Der Plan war ebenso niederträchtig wie einfallsreich, und Grace wusste nicht recht, ob sie ihm innerlich Beifall zollen oder ihre Wut hinausschreien sollte. TJ war so sehr mit seinem Vorhaben beschäftigt, dass er die Anwesenheit der barfüßigen jungen Frau nicht bemerkt hatte, doch sein Opfer hatte sie entdeckt und riss flehend die Augen auf. Im nächsten Augenblick würde die Frau um Hilfe rufen.
»Ganz wie du willst: Entweder du bleibst da stehen, hilfst mir ein bisschen, und wir kommen beide ins Fernsehen …« Bei diesen Worten wies er auf die Überwachungskamera über dem Ladeneingang. »… oder ich knall dich ab wie ’ne tollwütige Töle. Dann bist du auch tot – für nix und wieder nix.«
Grace hatte ganz vergessen, ihre Sekunden zu zählen. Sie musste sich entscheiden. Sie musste sofort etwas unternehmen. Der armen Frau helfen, aber wie? Wenn TJ sie zu Gesicht bekam, würde er ihr dasselbe Schicksal bereiten.
» NEIN ! Nein, ich flehe Sie an … kommen Sie zurück!«, schrie die Schwarze verzweifelt auf.
Ruckartig wandte TJ den Kopf. Die Kreuzung Avenue of the Americas und Waverly Place lag verlassen da. Wahrscheinlich sah die Frau vor Angst schon Gespenster.
Atemlos rannte Grace auf den Washington Square zu. Mit ihren bloßen Füßen lief sie so gut wie geräuschlos und konnte sich daher unauffällig entfernen. Den zweiten Schuh hatte sie jetzt ebenfalls verloren. Sie hatte sich entschieden, auch wenn das feige war. Sie wollte leben. Gleich darauf hörte sie einen lauten Knall, dessen Echo für einen kurzen, eisigen Moment die Zeit anzuhalten schien.
10 UHR 10 – VEREINIGTE STAATEN – AN VERSCHIEDENEN ORTEN
San Antonio
» FBI ! Keine Bewegung!«, gellte es schneidend von der aufgebrochenen Tür her.
Der jungen Frau in der weißen Schürze, einer sonst stets lächelnden Latina, die gerade im Wohnzimmer Geschirr einräumte, standen Unverständnis und Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Reflexhaft hob sie die Hände über den Kopf, wie sie es aus dem Fernsehen kannte.
Das mit Helmen und schusssicheren Westen ausgerüstete SWAT -Kommando drang in den von Sonnenschein durchfluteten großen Raum vor, die Colt M4 schussbereit in Augenhöhe. Rote Punkte der Laservisiere tanzten um die Frau herum, bis sie sich schließlich auf ihrem babyblauen Kleid vereinigten wie ein Bienenschwarm auf den Blüten der Honig spendenden Pflanze.
»Wo ist Walter Davis?«
»Ich weiß nicht.«
»Wo ist Walter Davis?«, wiederholte der Truppführer mit lauter, drohender Stimme.
Das Dienstmädchen stand mit hängendem Kopf da und kämpfte mit den Tränen. Sie wagte nicht, vom Teppichboden aufzusehen.
»Ich schwöre Ihnen, ich weiß es nicht … Mr. Davis ist sehr früh fortgegangen und noch nicht zurückgekommen. Er hat gesagt, er geht joggen. Mehr weiß ich nicht.«
»Und Mrs. Davis?«
»Sie ist im Krankenhaus … Sie ist heute Nacht angerufen worden, wegen ihres Herzens.«
Also gleich zwei Pechvögel, beide Opfer des Fluches, der sich über das ganze Land gelegt hatte. Es überraschte den
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