Todesläufer: Thriller (German Edition)
mir vorbereitete Rede vortragen … doch das bringe ich aus ebenso schwerwiegenden wie komplizierten Gründen nicht über das Herz …«
Bei diesem Wort geriet er ins Stocken.
»Es tut mir sehr leid … ich bringe es nicht über das Herz weiterzusprechen, als sei nichts geschehen.«
Die Zuhörer blickten fragend umher, um zu sehen, ob ihre Sitznachbarn besser verstanden, was sich vorn auf dem Podium abspielte. Aber nein … Der Präsident der Vereinigten Staaten verlor vor aller Augen und Ohren den Faden, und niemand außer Adrian Salz kannte den Grund für dieses unglaubliche Versagen.
»Selbstverständlich wird nichts von dem, was ich Ihnen sagen könnte, unser Leid und die schmerzliche Erinnerung mindern, die wir an all die Opfer jener Katastrophe bewahren …«
Salz dachte an die bevorstehende Wahl: Das ist Selbstmord. J etzt ist er tot … Selbst wenn er überleben sollte, ist er politisch tot .
»Auf die Gefahr hin, dass es einigen von Ihnen unpassend erscheint, möchte ich gern über mich selbst sprechen. Ich habe Ihnen nicht die Wahrheit gesagt …«
Eine Welle der Ungläubigkeit durchlief das aus handverlesenen lokalen und nationalen Größen bestehende Publikum. Eine ganze Reihe der Anwesenden gehörte zu denen, die den Wahlkampf des scheidenden – und wie sie hofften, künftigen – Präsidenten mit Nachdruck unterstützten. Sie waren entsetzt und entrüstet zugleich, als sie mitansehen mussten, wie er sich selbst den Boden unter den Füßen fortzog. Was sollte nun werden? Würde der Skandal auf sie, auf ihre Unternehmen zurückfallen? Hatten sie dafür so großzügig gespendet?
»Ich habe Ihnen allen die Unwahrheit gesagt … dem ganzen amerikanischen Volk. Und, das wiegt möglicherweise noch schwerer, auch denen, die mir am nächsten stehen, und der großen Zahl jener, die mich über all die Jahre hinweg unterstützt haben.«
Annette erstarrte. Sie spürte, wie sich sämtliche Blicke auf sie richteten, und fürchtete, bei der kleinsten Bewegung würde es sie in Stücke reißen.
»Ich habe Ihnen den Eindruck vermittelt, ich sei imstande, die Aufgaben meines Amtes uneingeschränkt auszufüllen … Das aber ist nicht der Fall. Ich habe die Gutachten über meinen Gesundheitszustand gefälscht.«
Edgar Wendell musste sich zusammenreißen, um nicht in lauten Jubel auszubrechen. Das war die Wende. Jetzt hatte er die Partie gewonnen. Ab sofort war die Wahl im November eine reine Formsache, besser noch: ein Volksentscheid. Er war ein wenig enttäuscht, dass ihm Cooper auf diese Weise den Wind aus den Segeln nahm. Kampflos durch Aufgabe des Gegners zu gewinnen, war nicht besonders befriedigend. Das nahm dem Sieg nicht nur Glanz und Würze, er selbst würde auch den Blutgeschmack des Kampfes vermissen. Doch das waren Kleinigkeiten verglichen mit dem Triumph, der ihm bevorstand.
»Ich leide seit längerer Zeit an einer Herzschwäche, weshalb man mir vor etwa zwei Jahren, als ich mein Amt im Weißen Haus bereits angetreten hatte, einen Schrittmacher implantieren musste …«
Bei dem Wort »Schrittmacher« stießen einige Zuhörer unbeherrschte Entsetzensschreie aus, doch sie wurden unverzüglich und voll Entrüstung zurechtgewiesen. Zumindest sollte man den Präsidenten aussprechen lassen!
»Morgen um Punkt fünf Uhr werde ich aller Wahrscheinlichkeit nach einer der sogenannten Läufer sein … Auch ich werde dann einen Sprengsatz in meiner Brust haben.«
Eisige Stille legte sich über die Versammlung. Das ging weit über den Rahmen des Vorstellbaren hinaus. Würde ein Fernsehkrimi mit einer solchen Geschichte aufwarten, hätten die meisten wohl sofort weitergezappt, weil ihnen das zu plump und übertrieben erschienen wäre.
»Ich weiß nicht, ob ich morgen um diese Zeit noch unter Ihnen weilen werde … Ich habe keine Vorstellung von dem, was mich erwartet. Ich wollte … Ich wollte Sie lediglich bitten, mir zu verzeihen. Sofern Sie sich dazu noch imstande sehen …«
Er war den Tränen nahe. In diesem Augenblick erinnerte sein Gesicht, das sonst voll natürlicher Vornehmheit war, an das eines kleinen Jungen, der Kummer hat. Oder Angst, weil er weiß, dass man ihm schon bald den Hosenboden strammziehen wird.
»Bitte verzeihen Sie mir.«
Er schluchzte ins Mikrofon, dann wandte er sich hastig ab.
Das Tempo, in dem sich die folgende Szene abspielte, überforderte die meisten Anwesenden. Im nächsten Augenblick traten drei Geheimdienstleute zum Präsidenten, von denen zwei ihn unter den Achseln
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