Todesläufer: Thriller (German Edition)
sonst noch zu sagen hatte, hörte Sam kein einziges Wort. Er vernahm nur das betäubende Rauschen in seinen Schläfen, das den ganzen Raum um ihn herum erfüllte. Der Arzt zappelte vor ihm wie ein Hampelmann, wie die Puppe eines Bauchredners, der keinen Ton herausbrachte. Das Wie, das Warum … war ihm völlig gleichgültig. Er wollte es sehen! Sie sehen.
Doch bevor Sam seinen Wunsch äußern konnte, führte Retner ihn auch schon durch den langen Korridor der kardiologischen Abteilung, wo noch Trümmer der jüngsten Explosionen auf dem Linoleumboden verstreut lagen. Aus Mangel an Personal war nur flüchtig aufgeräumt worden.
Am Eingang zum Aufwachraum gestattete ein rechteckiges Fensterchen, kaum größer als eine Schießscharte, einen Blick auf die Reihe von Betten und Patienten. Im dritten entdeckte er eine Strähne ihrer Haare. Ihr Gesicht war zum Teil vom Schlauch des Beatmungsgeräts verdeckt.
Die Worte des Arztes drangen nach und nach an die Oberfläche, wie ein Echo aus großer Tiefe: »… Rafiq hatte den Einfall. Was mich angeht, sagen wir, ich hab beiseitegesehen. Wenn einer mitbekommen hätte, dass ich zulasse, wie jemand einer Toten einen Herzschrittmacher einsetzt, wäre ich reif für den Ethikrat gewesen«, rechtfertigte er sich. »Und dann hätten wir alle unseren Hut nehmen und stempeln gehen können.«
Was ging ihn Rafiqs Mut und Retners wohlwollende Feigheit an, ihre kleinen Probleme mit der Berufsethik und der ganze andere Klimbim. Er brachte es nicht fertig, den Blick von ihr zu lösen. Er fürchtete, sie würde sofort wieder verschwinden, wenn er sie auch nur einen kurzen Augenblick nicht ansah. Ein kindischer Aberglaube.
Da er den Raum nicht betreten durfte, blieb er eine ganze Weile am Sichtfenster stehen und knüpfte das Band zwischen ihr und ihm erneut, flößte ihr mit Blicken ein, was noch an Leben in ihm war. Die Stirn an die Scheibe gedrückt, ohne einen anderen Gedanken.
Später in der Eingangshalle achtete er nur mit halbem Auge auf die Nachrichten, die über den großen Flachbildschirm an der Wand liefen. Dabei war es alles andere als harmlos, was dort gesagt wurde. Ein politischer Kommentator ließ sich über die möglichen Konsequenzen von Stanley Coopers »Wahrheitsrede« am Mahnmal für die Opfer des 11. September aus.
»Bedingt durch die Ausrufung des Notstandes haben die wichtigsten Meinungsforschungsinstitute bislang keine Umfragen durchgeführt. Doch darf man als nahezu sicher annehmen, dass die Beliebtheit des Präsidenten einen schweren Schlag erlitten hat, von dem er sich möglicherweise nicht erholen wird, nachdem er ursprünglich im Wahlkampf aufgeholt hatte. Von seiner, zurückhaltend gesagt, katastrophalen Art der Kommunikation seit Ausbruch der Krise ganz zu schweigen …«
Auf das Konterfei des Journalisten folgte das Edgar Wendells. Wie immer lag ein Haar fein säuberlich neben dem anderen. Sam ließ sich einen Augenblick durch die graue Mähne des Politikers ablenken, bevor er auf seine Worte achtete: »… aus vertraulichen Quellen habe ich etwas erfahren, das zu glauben mir immer noch schwerfällt. Doch ich bin es mir und der Öffentlichkeit schuldig, Ihnen das Folgende mitzuteilen: Präsident Cooper ist aus dem Beth Israel Medical Center verschwunden, wo sein manipulierter Schrittmacher entfernt werden sollte. Ich räume ein, dass ein solches Verhalten unvorstellbar erscheint, und kann Ihnen daher nur empfehlen, sich selbst ein Bild zu machen. Jetzt ist der Mann, der unser Land regiert, in jeder Hinsicht gefährlich. Ein Flüchtiger … und ein Feigling!«
»So ein mieser Hund!«
Francis Bentons Ausruf ließ Sam zusammenfahren. »Der Nationale Sicherheitsrat ist seinem Erpressungsversuch gegenüber standhaft geblieben, und jetzt rächt er sich auf diese Art und Weise …«
Sam hatte nicht damit gerechnet, Benton dort zu sehen, da er angenommen hatte, er sei weitergefahren. Aber da war er, wenige Schritte hinter ihm. Sam beschloss, seine erst zart aufkeimende Freude für sich zu behalten. Schwester Susans erneutes Auftauchen enthob ihn der Notwendigkeit, Bentons unvermeidliche Fragen zu beantworten.
»Mr. Pollack … Miss McGeary ist aufgewacht und möchte Sie sehen …«
»Gehen Sie schon hin«, forderte ihn Benton mit einer resignierten Kopfbewegung auf. Es wirkte beinahe freundschaftlich.
Liz lag in einem Doppelzimmer ziemlich oben im Gebäude, weit entfernt von den Operationssälen und ihren explosiven Patienten. Ihre Zimmernachbarin, eine alte
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