Todesläufer: Thriller (German Edition)
Dame, war allem Anschein nach eingeschlafen. Ohne die Brandwunden im Gesicht wirkte Liz auf Sam so gut wie unverletzt. Die Halskrause und die festen Verbände um ihre Beine straften diese voreilige Einschätzung jedoch rasch Lügen.
Als er sich schweigend auf die Bettkante setzte, sah sie ihn mit zärtlichem und zugleich betrübtem Blick an. Sie schien ihm eher überanstrengt als in schlechter Verfassung zu sein. Mit Daumen und Zeigefinger schob er ihr die widerspenstige Haarsträhne auf die von Schrammen und blauen Flecken übersäte Stirn.
»Sam … ich habe das mit Grace gehört. Ich bin …«
»Spar dir dein Beileid, McGeary«, fuhr er dazwischen, ohne das Ende ihres Satzes abzuwarten.
»Ich weiß, was du empfindest …« Liz streckte ihm eine weiche Hand so weit entgegen, wie sie konnte. Er erstarrte, zog seine Hand zurück und legte ihr Telefon offen sichtbar auf das weiße Laken vor sie hin.
»Du hast nicht die leiseste Ahnung, was ich empfinde. Deswegen sage ich dir noch einmal: Du kannst dir deine Beileidsbekundungen sonst wo hinstecken!«
»Nimm es doch nicht so …«
»Dann werde ich noch deutlicher: Du kannst dir damit den Hintern abwischen …«
Erschreckt riss sie die Augen auf.
Jetzt dreht er völlig durch …
»… weil meine Tochter lebt!«
Sie verstand kein Wort, doch sie war sicher, dass er die Wahrheit sagte. Sollte sie lachen? Ihn anschreien? Ihn beschimpfen? Sie zögerte nur kurz.
»Blöder Hammel! Du bist wirklich …«
Sie zielte einen Faustschlag ins Leere, der sie sofort wieder an ihre Schmerzen erinnerte.
»Du bist wirklich ein dämlicher A … aber ehrlich!«
Der Ausdruck von Ärger auf ihrem Gesicht verwandelte sich in ein Lächeln, in das schon bald eine einzelne Träne fiel, die ihr langsam über die Wange rann.
Er küsste sie fort. Unbeholfen, aber diesmal mit ihrem vollen Einverständnis. Sie wandte ihm ihr von Schmerz gezeichnetes Gesicht zu und suchte seine Lippen. Nur um ihm zu sagen, dass sich die Geschichte nicht wiederholte, dass er zur richtigen Zeit am richtigen Ort für sie da gewesen war. Dass so etwas wie Schicksal nur in den Köpfen trauriger Menschen existiert, wie er all die Jahre hindurch einer gewesen war und wie er es mit ihr zusammen nie wieder sein würde.
Keiner der beiden bemerkte, dass plötzlich die Tür aufging. Benton stand im Rahmen, sein Umriss zeichnete sich scharf gegen das Licht der Leuchtstoffröhren ab.
»Zerdaoui ist abgehauen!«
Sie sahen ihn wortlos an, ein groteskes Gespenst, das dort nichts zu suchen hatte.
»Habt ihr gehört, was ich gesagt habe? Er hat Devroes Waffe an sich gebracht … Sicher will er zu seiner Frau, zum 1 WTC .«
4 UHR 30 – NEW YORK – IM SÜDEN MANHATTANS – DAS VIERTEL UM DEN BATTERY PARK
Die Nationalgarde hatte die Brooklyn Bridge inzwischen wieder freigeräumt. Daher verlief die Fahrt deutlich zügiger, als Zahra angenommen hatte. Keine Staus auf den großen Zufahrtsstraßen zur Insel Manhattan. Ohnehin gab es kaum nennenswerten Verkehr. Alle verschanzten sich in ihren Wohnungen, verfolgten die jüngsten Entwicklungen der Stan-Cooper-Seifenoper im Fernsehen und warteten auf den Augenblick der Befreiung.
Sie steuerte die beigefarbene Großraumlimousine mit mäßiger Geschwindigkeit und lauschte mit einem Ohr auf die Durchsagen, die über die NYPD -Frequenz hereinkamen.
Wär ja wirklich zu blöd, wenn mich so kurz vor dem Ziel eine Streife erwischte … Noch dazu in dieser Verkleidung.
Statt die Fahrt in unmittelbarer Verlängerung der Brücke zum Police Plaza fortzusetzen, fuhr sie vorsichtshalber am East River entlang in Richtung South Ferry. Den Anleger, auf dem es gewöhnlich von Menschen nur so wimmelte, bevölkerten jetzt lediglich einige untätige Möwen. Weiter ging es nach Süden durch die South Street, von wo sie in die State Street einbog und dann Ground Zero ansteuerte. Als ihr auf der Höhe des verlassen daliegenden Battery Park die Entfernung zu der Stelle, an der das World Trade Center gestanden hatte, günstig erschien, stellte sie den Wagen auf dem von Rasenflächen gesäumten, breiten Gehweg ab.
Sie setzte die nachtblaue Mütze auf, um glaubwürdiger zu wirken, stieg ungeachtet des strömenden Regens aus und griff nach dem kleinen Rucksack. Das Empfangsgerät an ihrem Gürtel spuckte unaufhörlich Meldungen des Polizeifunks aus.
»10-4 … An alle Einheiten. Stellen Sie alle Bemühungen ein, Läufer einzeln zu deaktivieren. Eine Kollektiv-Deaktivierung ist in Vorbereitung. Ich
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