Todeslauf: Thriller (German Edition)
nicht richtig fixiert. Langsam nahm er das nasse Tuch weg. Ich flehte um Luft. Dann breitete er das nasse Tuch wieder über mein Gesicht.
Und begann erneut. Ich schrie und plapperte wie zuvor.
Als sie mich schließlich mit Fußtritten zurück in die kalte Zelle beförderten, war ich froh, dass ich nicht mehr wusste, was ich gesagt hatte. Manchmal ist es besser, wenn man sich an nichts erinnern kann.
7
Der Dezember kam. Einer der Wärter erwähnte kurz, dass heute Weihnachten sei. Fröhliche Weihnachten wünschte er mir nicht. Es wurde Januar, der Geburtstermin des Babys, der 10. Januar, verstrich. Vielleicht war mein Sohn schon auf der Welt, machte seine ersten Atemzüge – und brauchte mich. Und ich steckte in dieser dunklen Zelle, ohne Aussicht, je wieder herauszukommen.
An diesem Tag besuchte mich Howell in meiner Zelle. »Heute sollte Ihr Kind geboren werden.«
Ich blickte von meinem Mittagessen auf, einer Scheibe Schwarzbrot und Kartoffelsuppe.
»Helfen Sie uns, dann finden wir sie vielleicht. Wir haben jedes Krankenhaus in Europa verständigt. Sie könnten Ihren Sohn sehen, Sam. Wollen Sie Ihren Jungen sehen?«
Mein Gesicht war eine stählerne Maske, auch wenn es mir das Herz zerriss. »Ja. Aber ich habe Ihnen alles gesagt. Lassen Sie mich gehen, Howell, dann kann ich helfen, sie zu finden.«
»Welchen Namen wollten Sie ihm denn geben?«
Ich wollte nicht mit Howell über meinen Sohn reden. Ich wollte überhaupt nicht mit Howell reden. Punkt, aus. »Geh’n Sie zum Teufel«, sagte ich. »Was interessiert es Sie denn, welchen Namen wir unserem Kind geben wollten?«
»Sie sind ziemlich wütend heute, Sam.«
»Ich hab genug von Ihnen. Von Ihnen allen. Von Ihrer ganzen Dummheit.«
Howell sah mich schweigend an, dann stand er auf. »Na gut. Ich hab mich für Sie eingesetzt. Sie haben immer wieder behauptet, Sie wüssten nichts – und vielleicht stimmt das sogar. Vielleicht sind Sie in gewisser Weise wirklich unschuldig.« Er warf ein Stück Papier auf den Steinboden. Ein Ultraschallbild. Das kleine Bündel in seiner ganzen Pracht. Howell ging hinaus.
Ich betrachtete das Bild. Mein Kind.
Bin ich Vater? Ist er schon auf der Welt? Ich muss hier raus. Mein Kind braucht mich.
Aber ich blieb auf dem kalten Steinboden sitzen und dachte nach.
8
Ich verbrachte den ganzen Winter auf diesem kalten Steinboden. Auch im Februar beteuerte ich immer wieder meine Unschuld. Jeden Tag wurde mein Leben seziert und durchleuchtet, jeden Tag wurde ich mit denselben Anschuldigungen konfrontiert.
Kann sich irgendjemand vorstellen, wie sich das anfühlt? Wenn einem keiner glaubt? Wenn einen die eigenen Kollegen für einen Verräter halten – die Menschen, von denen ich mir Unterstützung erhofft hätte, nachdem meine Frau entführt worden war. Wenn einem alle Kollegen ohne Zögern zutrauen, ein Verräter und Mörder zu sein.
Ein grausameres Gefängnis ist kaum denkbar.
Es wurde März. Howell ließ sich nicht mehr blicken, es gab kein Waterboarding mehr. Vier verschiedene Vernehmer stellten mir die gleichen Fragen und hörten sich meine Unschuldsbeteuerungen an. Eines Morgens kamen zwei stiernackige Ex-Marines herein, hielten mich fest und schoben mir eine Nadel unter die Haut. Irgendetwas in mir hoffte fast: Das ist es jetzt, das Ende, für immer dunkel. Jetzt sind sie mit mir fertig.
Ich erwachte in Amerika.
Auf dem Fernseher, der in der Ecke stand, lief Comedy Central. Ich blickte mich um. Kein Fenster. Nur weiße Wände, ein Krankenhausbett, ein Stuhl, der Fernseher mit einem Entertainer, der auf der Bühne herumlief, in ein Mikrofon schrie und Witze über uncoole Frischvermählte riss. Meine Arme und Beine waren am Bett festgeschnallt. Es roch nach Desinfektionsmittel und Lavendel-Raumspray. Ich war gewaschen und sauber, zum ersten Mal seit Wochen. Unter dem Hintern spürte ich die Kälte einer Bettpfanne, das Stechen in der Haut kam von einem Katheter, außerdem hatten sie mir am Arm einen Venentropf angelegt.
Ich lag still da und lauschte dem leisen Summen von Krankenhausgeräten und der Klimaanlage. Ich rief nicht nach einer Schwester. Ich war sauber und lag in einem Bett, und nicht in einer kalten dunklen Zelle, und ich wurde nicht geschlagen und getreten.
Der Fernsehkomiker lästerte über seine Frau und machte sich über die verrückten Wünsche seiner Kinder lustig. Ich hätte ihn erwürgen können, weil er so blind und undankbar war und gar nicht wusste, was für ein Glück er hatte. Dann schloss ich
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