Todeslauf: Thriller (German Edition)
die Augen und schlief wieder ein, sauber und bequem, in einem weichen Bett statt auf Stein.
Als ich erwachte, schmeckte mein Mund sauer vom Schlaf. Ich war immer noch festgeschnallt. Bettschüssel und Katheter waren auch noch da. Eine Schwester kam herein, um nach mir zu sehen. Sie vermied es, mir in die Augen zu schauen.
»Hallo«, sagte ich.
Sie gab keine Antwort.
»Wo bin ich?«, krächzte ich.
Schweigend überprüfte sie meine Vitalfunktionen, schrieb die Werte auf und ging hinaus. Ich testete, wie fest man mich angeschnallt hatte, obwohl mir im Moment nicht danach war, mich loszureißen. Auf dem Tisch an der Wand stand eine grüne Flasche Boylan Bottleworks Ginger Ale, meine absolute Lieblingslimonade. Sie wird in New Jersey hergestellt, und man bekommt sie nicht überall. Daneben stand eine Flasche Heineken, obwohl ich nicht oft Alkohol trank, seit ich mit Parkour begonnen hatte. Auf beiden Flaschen glitzerten die kalten Wasserperlen. Neben den Getränken lagen ein paar Bücher meiner Lieblingsautoren. Außerdem Pecan-Pralinen, die ich besonders gern hatte, und eine Hubig’s Fried Pie aus New Orleans, eine Leckerei aus Kindheitstagen, wenn meine Eltern gerade einmal wieder in den Staaten gelebt hatten, was selten genug vorgekommen war. Mein Rücken begann vom Schweiß zu jucken. Da hatte man sich eine neue Folter ausgedacht.
Dann betrat ein Mann das Zimmer. Breite Schultern, unauffälliger grauer Anzug, graue Krawatte, blaues Hemd, Bürstenschnitt, grau melierter Spitzbart. Howell.
»Hallo, Sam. Wie geht’s Ihnen heute? Sie haben ganz schön lange geschlafen, und genau das brauchen Sie jetzt auch, um wieder auf die Beine zu kommen.« Seine Stimme klang freundlich, so als würde ihn meine Verfassung wirklich interessieren. Der Hass stieg sofort wieder hoch. Die vergangenen Monate hatten mir gezeigt, dass ich keine Freunde hatte und auch keinen Grund, jemandem zu vertrauen, der vorgab, mein Freund zu sein.
Er sah das Feuer in meinen Augen und blickte einen Moment lang zur Seite.
»Wo bin ich?«, fragte ich.
»Sie sind in New York City. Ich bin Ihr Verbindungsmann.«
»Was meinen Sie damit – Verbindungsmann?«
»Sie werden freigelassen.« Er verzog das Gesicht zu einem Lächeln.
Ich glaubte ihm nicht. Das musste ein Trick sein. Ich konnte kaum atmen. »Haben Sie meine Frau gefunden?«
»Nein.«
»Warum …«
»Ihre Unschuld ist erwiesen«, antwortete Howell nun in etwas steiferem Ton, so als hätte er den Text auswendig gelernt. »Wir bedauern die Unannehmlichkeiten.«
Ich konnte weder lachen noch vor Wut schreien über die lächerlichen vier Worte, die in keiner Weise der Hölle gerecht wurden, die ich durchgemacht hatte. Als ich meine Stimme wiederfand, klang sie gebrochen. »Erwiesen … wie?«
»Nebensächlich, Sam. Wir wissen, dass Sie unschuldig sind.«
Ich schloss die Augen. »Dann lügen Sie. Sie müssen Lucy gefunden haben.«
»Nein«, erwiderte er. »Ich schwöre Ihnen, wir wissen nicht, wo sie ist.«
Das Schweigen zwischen uns wurde nur durchbrochen vom Gezeter des Komikers im Fernsehen. Ich tastete ungeschickt nach der Fernbedienung. Er nahm sie und schaltete den Fernseher aus.
»Jetzt glaube ich Ihnen nicht.«
»Das ist kein Trick, Sam«, beteuerte Howell. »Wir wissen, dass Sie unschuldig sind. Freuen Sie sich einfach, dass Sie wieder freikommen.«
Freuen. Frei. Die Worte wollten keinen rechten Sinn ergeben. »Ihr habt mich gefoltert. Ihr habt mich gefangen gehalten, ohne Anwalt, ohne Verhandlung.«
»Es ist nie passiert, Sam.« Langsam löste Howell die Riemen, mit denen meine Beine am Bett festgeschnallt waren. Er ging sehr vorsichtig vor, als würde er den Deckel von einem Korb mit einer Kobra nehmen. Er sah mir in die Augen und schluckte; vielleicht wurde ihm klar, dass er keine Angst zeigen sollte. »Sie werden wieder ein normales Leben führen, Sam. Betrachten Sie mich als Ihren Bewährungshelfer.«
»Wer unschuldig ist, braucht keinen Bewährungshelfer.«
»Die Company wollte, dass ich diese Rolle übernehme. Vergessen Sie nicht, ich bin der Einzige, der Ihnen geglaubt hat. Ich war gewissermaßen Ihr Anwalt in der Company, Sam.«
»Sie waren ein lausiger Anwalt.«
Howell stieß einen tiefen Seufzer aus und setzte sich auf die Bettkante. »Ich habe den Verantwortlichen gesagt, dass Sie meiner Meinung nach die Wahrheit sagen. Sie haben mir schließlich geglaubt, als …«
»Als was?« Ich beugte mich vor.
»Ich kann nicht darüber sprechen.«
»Sie sind es mir
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