Todeslauf: Thriller (German Edition)
Besucher und die Angestellten aufhielten. Dann löste ich die Abdeckung vom Sensor der Alarmanlage und kappte mit einer Schere das Kabel, mit dem der Hinterausgang an das System angeschlossen war. Niemand sah mich; in der Kinderabteilung war gerade eine anregende Lesung des Bilderbuchs Wo die wilden Kerle wohnen im Gange.
Ich nahm den tiefsten Atemzug meines Lebens und öffnete vorsichtig die Tür. Kein Alarm. Rasch trat ich in den kühlen sonnigen Tag hinaus. Ich wartete auf eine Kugel, die vor mir im Asphalt einschlug oder mir die Kniescheibe zertrümmerte. Ich wartete auf den jähen Schmerz und darauf, dass ich zu Boden ging und ein Mann auftauchte, der mich in ein Auto zerrte und Howell anrief, um ihm zu melden, dass ich wieder ausbüchsen wollte, und um mich zu fragen, woher der Tote in der Wohnung nebenan kam.
Stille. Die Gitterstäbe bogen sich auseinander. Wenigstens ein Stück.
Ich ging zu einem Auto in einer Seitenstraße, das mir schon länger aufgefallen war. Es stand jede Woche am gleichen Platz vor einem Einkaufszentrum. Ein Modell, das leicht zu klauen war und das kein GPS-System hatte, mit dem man es verfolgen könnte. Ich schloss den Wagen kurz und war nicht einmal eine Minute später weg. Im Rückspiegel erkannte ich keine Anzeichen einer Verfolgung. Meine Beschatter hatten sich so an meine Routine gewöhnt, dass sie weiter den Haupteingang beobachteten, oder sie hielten sich für besonders schlau und überwachten meine Internetsuche.
Ich fuhr Richtung Norden und machte einen Zwischenstopp bei einem Wal-Mart-Supermarkt, um alles zu besorgen, was ich für meine Verkleidung brauchte. Dann fuhr ich weiter und hielt schließlich bei einem Fernfahrerlokal etwa fünfzig Kilometer südlich von Albany an. Ich stellte den Wagen in der hintersten Ecke des Parkplatzes ab und ging hinein, um einen Kaffee zu trinken. Viele aßen hier, weil es billiger war als in New York. Ich trank drei Tassen von dem ausgezeichneten Kaffee und sah zu, wie die Trucker kamen und gingen. Die meisten saßen nur da und hörten sich die Nachrichten an – ein Bombenanschlag auf einen Bahnhof in Amsterdam, bei dem fünf Menschen getötet wurden, ein kräftiger Sturz der Börsenkurse, eine Anklage wegen Bestechung gegen einen Kongressabgeordneten.
Einigen Truckern, die etwas geselliger waren, hörte ich beim Plaudern zu; ich suchte einen besonders gesprächigen. Plaudertaschen reden am liebsten über sich und stellen nicht viele Fragen. Das Gegenüber ist nur dazu da, sich ihre Weisheiten anzuhören. Oft sprechen die Trucker über ihre Ladungen, was für sie als Einstieg ins Gespräch so beliebt ist wie für andere das Wetter. Nach einer Dreiviertelstunde setzte sich ein Trucker mit silbernen Haaren und Südstaatenakzent neben mich und verdrückte einen Hamburger mit Pommes und Unmengen Ketchup. Als sein Teller leer war, erzählte er dem uninteressierten Kollegen neben ihm, dass er Flanell und Knöpfe transportierte, die dann im Ausland zu Hemden verarbeitet würden.
»Ich kapier nicht, warum sie die Hemden nicht bei uns nähen können«, meinte er. »Wir haben doch auch Nähmaschinen.«
»Ja«, entgegnete sein Kollege, »japanische Nähmaschinen.« Er zuckte mit den Schultern, wie um zu sagen, dass die Welt klein geworden sei, dann stand er auf und ging.
Der gesprächige Trucker bestellte einen Kaffee.
Nachdem er ihn bekommen und einen kräftigen Schluck genommen hatte, fragte ich: »Fahren Sie zufällig zum Hafen, Sir?«
Er musterte mich kurz. »Ja.«
»Da will ich auch hin, aber mein Wagen hat gerade den Geist aufgegeben. Mein Bruder arbeitet auf einem Schiff, das von New York ablegt, und er hat mir einen Job verschafft.«
»Normalerweise arbeiten gar keine amerikanischen Jungs mehr auf solchen Schiffen.«
»Ich weiß. Er ist Vorarbeiter und hat mir den Job besorgt.« Ich sah ihn mit einem leicht belämmerten Ausdruck an, ein Typ aus einer Kleinstadt, der sich ein bisschen verloren fühlte. »Ich weiß echt nicht, was ich machen soll. Das Schiff kommt morgen rein und legt auch gleich wieder ab, und ich sitz hier und trinke Kaffee. Ich hab schon ein paar Leute gefragt, ob sie mich mitnehmen, aber ich hab kein Glück gehabt.« Ich machte ein deprimiertes Gesicht.
»Das ist hart.« Er starrte auf den leeren, mit Ketchup verschmierten Teller, als wäre er ein abstraktes Gemälde.
»Das stimmt, Sir. Ich würde ja nicht fragen, doch ich brauch den Job wirklich dringend.«
»Ich darf niemanden mitnehmen, verstehen
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