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Todeslauf: Thriller (German Edition)

Todeslauf: Thriller (German Edition)

Titel: Todeslauf: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Abbott
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Verhältnisse noch recht früh. Auf der Karaoke-Bühne verunstaltete ein betrunkener junger Spanier gerade Michael Jacksons »Off the Wall«, während seine Freunde begeistert applaudierten. Ein paar Männer standen weiter hinten und spielten Billard. Zwei junge Frauen saßen mit ihren Freunden an der Bar. Ich ließ mein geschultes Barkeeper-Auge über die Drinks schweifen; die meisten tranken Wodka oder Bier, man sah keine feinen Cocktails. Dann schätzte ich die Atmosphäre ein – etwas, das ein guter Barkeeper ebenfalls lernt. Ob Ärger droht oder nicht, ist keine Frage des Geschlechts, des Alters oder des sozialen Status.
    Dafür ist vor allem entscheidend, wo die Leute sitzen und wohin ihre Blicke schweifen. Die meisten waren einfach nur hier, um sich zu betrinken, zu singen und über die schlechten Sänger zu lachen. Die Billardspieler schienen sich zu kennen, sodass sie wohl nicht unbedingt mit den Stöcken aufeinander losgehen würden. Ein Unruheherd befand sich im hinteren Bereich – eine Gruppe von dunkelhaarigen Typen, die türkisch sprachen und sich in der Bar umsahen, geradezu auf irgendwelchen Ärger warteten. Der zweite Unsicherheitsfaktor war eine der beiden jungen Frauen, die extrem gelangweilt wirkte und ihren Blick schweifen ließ, als halte sie Ausschau nach dickeren Muskeln, einem knackigeren Hintern oder einem strahlenderen Lächeln. Ihr Freund schien schon richtig sauer zu sein, weil sie sich ständig umsah.
    Das waren die beiden Unruheherde, zu denen ich Abstand hielt, indem ich mich an die Bar setzte und den Blick auf die Zapfhähne vor mir richtete. Ich bestellte eine Halbe Amstel. Der Barkeeper, ein blasser dünner Typ mit fünf Piercings im linken Ohr, brachte mir das Bier. Er musterte mich kurz und stellte das Glas vor mich hin. Ich schob ihm das Geld, inklusive eines kleinen Trinkgelds, über die Theke, dann widmete ich mich meinem Bier, vermied jeden Augenkontakt und lauschte.
    Mein Niederländisch war nicht überragend, aber ich hatte vier Monate in Suriname, der ehemaligen holländischen Kolonie in Südamerika, verbracht, deshalb kam ich ganz gut zurecht – und so wie bei jeder anderen Sprache werden die Kenntnisse aufgefrischt, wenn man Leuten zuhört, die sie sprechen. Meine Eltern hatten für die Hilfsorganisation Episcopal Relief gearbeitet, mein Vater als Verwalter der Spendengelder, meine Mutter als Kinderchirurgin, vor allem für Gaumenspalten. Meine Eltern, mein Bruder Danny und ich waren während meiner Kindheit um die ganze Welt gereist, deshalb sprach ich ziemlich fließend Spanisch, Russisch und Französisch. Mein Chinesisch und Deutsch waren auch recht annehmbar. Den Satz »Ich bin Amerikaner und muss dringend die Botschaft anrufen« hätte ich in ungefähr drei Dutzend Sprachen sagen können. Der Satz würde mir allerdings nicht viel nützen, solange Howell und die Company hinter mir her waren. Im Sprachlernprogramm der CIA mit der Immersionsmethode hatte ich alle Geschwindigkeitsrekorde gebrochen, aber mit Niederländisch hatte ich mich nie so intensiv beschäftigt, und wahrscheinlich merkte man mir das auch an.
    Es war ein Sprachenmix in dieser Bar: Niederländisch, Englisch (das in Amsterdam recht häufig gesprochen wird), Französisch, Spanisch. Ich blickte mich vorsichtig nach den Türken um; sie bekamen mit, dass ich sie beobachtete, und ich wandte mich rasch dem Spanier auf der Bühne zu, der gerade in Anlehnung an Michael Jacksons Moonwalk über die Bühne torkelte. Möglicherweise saß ich noch stundenlang in dieser Kaschemme, ohne dass Nic auftauchte. Und währenddessen sah sich irgendjemand vom niederländischen Geheimdienst die Sicherheitsaufnahmen vom Hauptbahnhof an und würde vielleicht erkennen, dass Yasmin Zaid mit einem Rucksack gekommen war und ohne Rucksack wieder weggegangen war.
    Ich hatte das drängende Gefühl, dass mir die Zeit davonlief.
    Es fiel mir immer schwerer, geduldig zu bleiben. Die Arbeit eines Agenten bestand zu einem großen Teil aus Warten, und auch wenn es mir noch so schwerfiel, hier untätig zu sitzen – dieser Nic war meine einzige Verbindung zu Piet, und Piet konnte mich zu dem Kerl mit der Narbe und zu Yasmin führen. Und zu Lucy.
    Ich hatte keine andere Spur.
    Ich schlürfte langsam mein Bier. Der nächste Karaoke-Sänger gab eine recht annehmbare Version von »Knockin’ on Heaven’s Door« zum Besten und erhielt dafür begeisterten Applaus. Nach ihm bekam eine betrunkene Frau mitten in ihrer gekreischten Darbietung von

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