Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
Gebäude, das lediglich drei Stockwerke hoch war. Der Eingangsbereich und das Treppenhaus waren eng. Auch wenn sie bereits in Hotels mit bedeutend höherem Standard gewohnt hatte, gefiel es ihr unmittelbar. In ihrem Zimmer im zweiten Stock wies eine Doppeltür auf einen französischen Balkon hinaus. Der Holzfußboden war durchgetreten, und diverse Fliesen im Bad saßen lose, doch diese kleinen Mängel vergaß sie rasch, als sie das weiche Bett testete. Nach einer halben Stunde der Entspannung stand sie widerwillig auf und verließ ihr Zimmer mit einem resignierten Seufzer, um sich zu dem Hotel zu begeben, in dem die Konferenz abgehalten wurde. Anfänglich hatte sie gedacht, dass sie im Rechtsmedizinischen Institut von Paris stattfinden würde, und war ein wenig enttäuscht gewesen, als sie das Programm durchlas. Denn es war immer interessant, die Arbeitsplätze der internationalen Kollegen in Augenschein zu nehmen, doch stattdessen würde sie die kommenden Tage in einem schicken Hotel verbringen, das nur einen Steinwurf vom Louvre entfernt lag.
Ella ging zu Fuß zum Hotel in der Rue Castiglione und kam kurz nach der angegebenen Zeit dort an. Es sah aus, als wäre es im 18. Jahrhundert erbaut worden, und die Lobby war aus reinem Marmor und Kristall. Wie gewöhnlich begann die Konferenz mit der Registrierung der Teilnehmer und Referenten. Ella stellte rasch fest, dass unter den ungefähr fünfzig Teilnehmern lediglich vier Frauen waren. Keineswegs in allen Spezialgebieten der Medizin war der zunehmende Anteil an Frauen offensichtlich, dachte sie. Sie begrüßte eine elegant gekleidete Frau aus Norwegen, die sie von früher kannte. Sie war eine brillante Rednerin, aber nach Ellas Einschätzung eine weitaus geeignetere Diskussionsleiterin als eine objektive Rechtsmedizinerin. Während eines früheren Treffens waren Ella und sie in eine ziemlich heftige Diskussion über Vergewaltigung geraten. Doch jetzt lächelten sie sich vertraut zu.
Nach einer Stunde Smalltalk mit den Teilnehmern, die hauptsächlich aus Frankreich, der Schweiz und Deutschland kamen, wurden sie in einen Konferenzraum geführt. Während der nachfolgenden Stunden wurden ihnen die Möglichkeiten der Computertomographie vorgeführt. Die Referenten dunkelten den Konferenzraum ab und zeigten beeindruckende Animationen des Körperinneren. Bedauerlicherweise waren sie nicht interessant genug, um Ella wach zu halten. Bereits nach einer halben Stunde begannen ihre Augenlider schwer zu werden, und nach einigen weiteren Sekunden nickte sie ein. In den darauffolgenden drei Stunden kämpfte sie in jeder erdenklichen Art und Weise darum, sich wach zu halten – sie kitzelte sich mit der Zungenspitze am Gaumen und kniff sich in den Oberschenkel. Zum Glück saß sie in einer der hinteren Reihen, sodass sie die bedauernswerten Referenten mit ihrem Desinteresse nicht beleidigte.
In der letzten Stunde wurden Fälle vorgestellt, zu denen die Röntgenuntersuchung offenbar wichtige Informationen beigetragen hatte. Das Thema weckte Ellas Interesse, und ihre Müdigkeit war wie weggeblasen. Doch diese wichtigen Informationen gaben höchstens einen Ausblick darauf, was sich ein Rechtsmediziner von dieser technischen Innovation erwarten konnte. Als sich der erste Konferenztag dem Ende zuneigte, fand Ella ihre Skepsis gegenüber dieser Technik bestätigt und freute sich stattdessen darauf, die vielgerühmte französische Kochkunst genießen zu dürfen.
Da die Gastgeber Franzosen waren, tippte sie darauf, dass sie eine erstklassige Küche anbieten würden. Das Abendessen fand in einem abgetrennten Bereich eines nahegelegenen Restaurants statt. Obwohl die meisten Gespräche an den Tischen auf Englisch stattfanden, tat man gut daran, Rechtsmediziner von anderen Gästen abzuschirmen, vor allem, wenn Essen serviert wurde. Denn die Rechtsmediziner inklusive Ella besaßen eine Tendenz, unter Beibehaltung ihres Appetits völlig ungehemmt über ihre Arbeit zu sprechen.
Im Unterschied zu den nationalen Zusammenkünften, bei denen nie alkoholische Getränke serviert wurden, floss der Wein im französischen Restaurant in Strömen. Ella landete neben einem Kollegen aus Zürich, der höflich, korrekt und so langweilig war, dass sie mangels anderer Beschäftigung immer wieder ihr Glas an die Lippen führte. Nach drei Gläsern Rotwein stellte sie fest, dass es für sie höchste Zeit war zu gehen.
Auch wenn es zum Hotel nicht weit war, nahm sie aus alter Gewohnheit ein Taxi. Obwohl sie
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