Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
Sammlung durch neue Objekte ergänzt wurde. Inzwischen vernichtete man alles organische Material, sobald kein juristisches Interesse mehr daran bestand. Das Problem bestand allerdings darin zu beurteilen, wann genau dieser Zeitpunkt gekommen war. Ella musste zugeben, dass sie selbst gerade dabei war, nach Material zu suchen, das vor mehr als dreißig Jahren archiviert worden war.
Das Archiv war schlecht ausgeleuchtet, und es roch nach vergilbtem Papier. Sie kam an zwei Augen mit Einblutungen in die Netzhaut vorbei, die in einem Glasgefäß aufbewahrt wurden. Sie schienen sie mit leerem Blick anzustarren. Ella blieb vor einigen braunen Glasflaschen stehen, deren vergilbte Etiketten mit Totenköpfen versehen waren. Trichlormethan und Diethylether, las sie. Die chemischen Bezeichnungen für Chloroform beziehungsweise Ether. Sie ging weiter ins Archiv hinein. Ein Großputz in diesen Räumen wäre keine schlechte Idee, dachte sie, während sie vor den alten Holzkommoden ganz hinten im Raum stehen blieb. Die Schubladen waren schwer und ließen sich schlecht öffnen. Sie waren speziell für die kleinen Glasplättchen angefertigt, zwischen die die Gewebeproben der Obduktionen geklemmt worden waren. Die Schubladen waren bestimmt viele Jahre lang nicht mehr geöffnet worden. Jeder Obduktionsfall mit seinen durchschnittlich sieben Glasplättchen nahm den Platz von der Größe einer Streichholzschachtel ein. Die Glasplättchen standen dicht gedrängt, was ihr die Suche erschwerte, doch nach zehn Minuten hatte sie die richtigen gefunden. Sie nahm den kleinen Stapel dünner Gewebeproben an sich und verschloss die Türen sorgfältig hinter sich.
Oben im Büro war es still. Kein Mensch war zu sehen. Sie wollte nur ungern Licht machen und schaltete deshalb lediglich das Mikroskop ein. Das grelle Licht brannte ihr in den Augen, die sich gerade an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Sie schaute rasch die verschiedenen Präparate durch, bis sie das in Händen hielt, nach dem sie gesucht hatte. Leider war das Präparat lediglich ein Schatten dessen, was es einmal gewesen war. Nach dreißig Jahren im Archiv konnte sie natürlich auch nicht mehr von den kleinen Gewebeproben erwarten. Das Bindegewebe schien jedoch im Vergleich zum anderen Gewebe noch gut erhalten zu sein. Mit flüchtigem Blick stellte sie fest, dass bedeutend gravierendere Veränderungen in der Herzmuskulatur zu erkennen waren, als sie es bei einem nicht einmal Vierzigjährigen erwartet hätte. Einige der Präparate waren durch die Hitze des Brandes zerstört worden, sodass keine eingehendere Beurteilung möglich war. Als sie schließlich die Probe fand, die aus der Leber stammte, hielt sie inne. Anfänglich hatte sie eine starke Vergrößerung gewählt, doch um sicherzugehen, dass sie die Veränderungen richtig deutete, musste sie das Übersichtsobjektiv benutzen. Das Lebergewebe bestand mehr oder weniger aus einem groben netzartigen Muster aus Bindegewebe, das große Teile des gesunden Gewebes vernichtet und es auf eine zusammengeschrumpelte Bindegewebsmasse reduziert hatte. Solche Strukturen kamen nur bei ernsthaften Leberschäden vor. Der Mann, der im März 1976 nach dem Brand obduziert worden war, hatte unter einer ausgeprägten Leberzirrhose gelitten, ein Leiden, das entweder mit einer Vorerkrankung der Leber wie einer Gelbsucht oder mit langjährigem Alkoholismus einherging. Also kaum eine Krankheit, die man sich im Laufe einiger Monate zuzog. Ihr erschien es mehr als weit hergeholt, dass ihr Vater Alkoholiker gewesen sein sollte und dabei dennoch seiner Arbeit nachgekommen war.
Ella fasste die Situation zusammen. Es gab nichts, was dafürsprach, dass der Mann, der nach dem Brand obduziert worden war, noch lebte, als es im Haus zu brennen begann. In seinen Atemwegen hatte man keine Rußpartikel gefunden, und der Gehalt an Kohlenmonoxid in seinem Blut war aus irgendeinem Grund nicht analysiert worden. Außerdem hatte der Brand eine Identifizierung mittels Röntgen der Zähne unmöglich gemacht. Der Mann hatte zwar einen gut verheilten Bruch am linken Oberarm, doch sie konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob ihr Vater je eine derartige Verletzung gehabt hatte. Alleine in der Dunkelheit sitzend, zog sie etwas ratlos folgenden Schluss: Es gab nur wenig, was dafürsprach, dass die Leiche, die man nach dem Brand obduziert hatte, die ihres Vaters war.
Kapitel 10
Als Ella allein zu Hause auf ihrer Matratze lag, kamen ihr immer wieder dieselben Gedanken. Sie starrte an die
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