Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
eigentlich kein Wort französisch sprach, machte es ihr Spaß zu versuchen, die Adresse ihres Hotels korrekt auszusprechen. In ihren Ohren klang es jedenfalls gut. Als sich das Taxi dem Hotel näherte, sah sie, dass auf der Straße jede Menge los war. Zwischen den Menschen im Gewimmel, das sich gegenüber ihres kleinen Hotels gebildet hatte, erahnte sie ein blau blinkendes Licht und eine Art Absperrung. Daraufhin warf sie einen Blick auf die Fassade des Gebäudes und suchte nach einem offenen Fenster, aus dem möglicherweise jemand heruntergesprungen war, konnte jedoch keines entdecken. Nachdem sie das Taxi bezahlt hatte und auf die Straße hinausgetreten war, zog ihre Neugier sie näher zu der Menschenansammlung hin. Erst als sie bei der Ansammlung angelangt war, stellte sie fest, dass ihre morbiden Gedanken ihr einen Streich gespielt hatten. Die Menschen standen nicht wie befürchtet herum und starrten auf einen bedauernswerten Selbstmörder, der aus dem Fenster gesprungen war. Sie standen ganz einfach Schlange. Denn direkt gegenüber ihres Hotels lag eine Art Bar, aus deren dunklen Räumen ein blau blinkendes Licht nach draußen drang. Einer der Männer in der Schlange warf ihr einen amüsierten Blick zu, als würde er ihre Gedanken erahnen. Sie richtete ihren Blick zu Boden, trottete über die schmale Straße zurück und schlich sich durch den Eingang ins Hotel.
Als Ella erwachte, war es bereits hell, und die Straße war leer. Sie duschte lange, nahm sich viel Zeit beim Anziehen und entschied sich schließlich für ein enganliegendes schwarzes Poloshirt und ein Paar beigefarbene Hosen im Reiterstil. Sie musste daran denken, wie ihr beim Kauf gewisse Zweifel gekommen waren, ob sie sie überhaupt jemals anziehen würde. Und jetzt stand sie in ihrem Hotelzimmer und wusste nicht, ob sie stolz auf ihren Mut sein oder über ihre Eitelkeit lachen sollte, doch dann fiel ihr ein, dass sie in Paris war und wahrscheinlich niemandem ihr Aufzug besonders auffallen würde. Bestärkt von diesem Gedanken zog sie ihre Stiefel an und nahm ihren Mantel über den Arm. In der Tür musste sie noch einmal umkehren, um den Umschlag aus ihrer Reisetasche zu fischen, den sie von ihrer Mutter bekommen hatte. Unten im Frühstückssaal des Hotels angelangt, warf sie einen prüfenden Blick auf das morgendliche Angebot, beschloss dann jedoch, lieber etwas Gehaltvolleres als ein Croissant und ein trockenes Baguette mit Marmelade zu essen. Draußen war es zwar noch kühl, aber der Frühling lag bereits in der Luft. Planlos wanderte sie auf der Suche nach einem ansprechenden Frühstücksrestaurant umher. Mit einer gewissen Befriedigung stellte sie fest, dass sie es bis zum ersten Vortrag der Konferenz nicht mehr schaffen würde. Es geschah äußerst selten, dass sie derart wenig pflichtbewusst war.
In einem Café mit Ausblick auf das bizarre Gebäude des Centre Pompidou mit seinen gewaltigen Rohren und Rolltreppen an der Außenseite fand sie, was sie suchte. Das Café war groß, aber die alten Räume wirkten mit ihrer postmodernen Einrichtung dennoch gemütlich. Das Café war eine gelungene Mischung aus Beton, rostfreiem Stahl und den alten Holzbalken, die davon kündeten, dass zumindest Teile des Gebäudes von der vorherigen Jahrhundertwende stammten. Ella bestellte Kaffee und frisch gepressten Orangensaft sowie Toast, ein Croissant und eine spezielle Sorte Rührei. Eine gute Stunde lang saß sie an einem der großen Fenster, genoss das Frühstück und schaute auf den Platz und all die Menschen hinaus, die auf dem Weg zur Arbeit vorbeieilten. Etwas lustlos nahm sie schließlich den Plan der heutigen Vorträge zur Hand, den sie gestern bekommen hatte. Wenn sie sich beeilte, würde sie es noch zur Podiumsdiskussion zwischen den eifrigsten Fürsprechern und Gegnern der Computertomographie schaffen.
Dennoch blieb sie weitere zehn Minuten sitzen und blätterte wahllos in einer Zeitung, die jemand hatte liegen lassen, bevor sie bezahlte und ein Taxi zum Konferenzhotel nahm. Die Podiumsdiskussion hatte noch nicht begonnen. Es stellte sich heraus, dass der Schweizer, dessen Tischnachbarin sie gestern gewesen war, den ersten Vortrag des Tages gehalten hatte. Sie war sehr zufrieden, dass sie geschwänzt hatte.
Die Debatte erwies sich als beileibe nicht so kontrovers, wie Ella es erwartet hatte. Sämtliche Rechtsmediziner schienen sich darüber einig zu sein, dass die Technik als Hilfsmittel für Obduktionen anzusehen war, diese aber unmöglich
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