Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
etwas anders war. Als er ihr von Freddie erzählte, verriet etwas an seiner Stimme und seinem Blick, dass diese Gefühle tiefer gingen als bis in die Unterhosen. Marie lächelte. Wenn sie es nur andeutete, war ihr Lächeln schön. Doch dann schüttelte sie den Kopf, sodass ihre krause rote Mähne herumwirbelte, und wurde mit einem Mal ernst.
»Freddie war die große Liebe in Christophers Leben. Er machte ihn glücklicher, als irgendjemand anders es vermocht hätte. Aber.«
Marie schüttelte noch immer den Kopf.
»Aber, er machte ihn zugleich auch unglücklicher, als ich ihn je erlebt hatte. Mit der Gewissheit, den Partner gefunden zu haben, der einen glücklich macht, kommt auch die Angst, ihn wieder zu verlieren. Und diese Angst war bei Christopher so stark, dass sie manchmal die Oberhand gewann. Dass Ihr Vater außerdem zwischen zwei Welten hin- und hergeworfen wurde, ohne sich entscheiden zu können, machte die Sache nicht leichter. Wenn Freddie zu Besuch kam, waren die ersten Tage immer angefüllt mit Freude und Lachen, aber wenn sich der Tag näherte, an dem er wieder zurückmusste, verwandelte sich die Freude in Verzweiflung. Ich weiß noch, dass man es ihnen ansah, sowohl Christopher als auch Ihrem Vater. Beide hatten tief in ihrem Inneren große Angst, dass das, was zwischen ihnen war, verlorengehen würde.«
Marie redete, bis es draußen zu dämmern begann. Sie gestand Ella, dass sie Freddie anfänglich als Rivalen betrachtet hatte – als eine Person, die Christopher plötzlich mehr bedeutete als sie selbst. Und ihn dann jedoch ebenso zu lieben begann, wie sie Christopher liebte.
»Ihr Vater war ein in sich gefangener Mann. Er besaß eine dunkle Seite, die mich enorm faszinierte. Ich erinnere mich noch daran, wie ich neben ihm sitzen und ihn betrachten konnte, während er einer Diskussion zuhörte, nur um herauszufinden, was in seinem Kopf vor sich ging. Und in dieser Zeit waren die Diskussionen auf den Partys, die wir feierten, alles andere als oberflächlich.«Wieder zeigte sie ihr verhaltenes Lächeln.
»Andererseits hatten wir auch unsere Hilfsmittel, um die Diskussionen auf einem philosophischen Niveau zu halten.«
Ella führte sich vor Augen, dass Marie über die 70er Jahre sprach. Noch dazu über die 70er Jahre in Paris. Sie wunderte sich keineswegs darüber, dass Marie während dieser Zeit den einen oder anderen Stoff geraucht hatte, der nicht nur aus Tabak bestand. Doch dass sie dies in Gesellschaft von ihrem Vater getan hatte, war eine merkwürdige Erkenntnis für Ella. Vielleicht hatten sie sogar in der Wohnung gesessen, in der Ella jetzt saß und sich betrank. Der Gedanke vermittelte ihr das Gefühl von Nähe zu ihrem Vater, wie sie es nur als kleines Kind gekannt hatte. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie unbedingt herausfinden musste, ob Marie irgendetwas über den Brand wusste.
»Was ist geschehen?«
Ella formulierte ihre Frage bewusst so offen wie möglich. Marie betrachtete sie kurz, bevor sie den letzten Schluck Rotwein austrank und aufstand, um eine neue Flasche zu holen. Als sie zurückkam, reichte sie Ella die Flasche und den Korkenzieher, während sie selbst nach dem Telefon griff. Routiniert tippte sie eine Nummer ein und sagte schnell ein paar französische Sätze, als sich am anderen Ende jemand meldete. Ella konnte ihren Sätzen nur entnehmen, dass sie ihre Adresse angegeben hatte.
»Wir müssen ja auch irgendetwas essen«, sagte sie rechtfertigend, als Ella sie fragend anschaute. »Ich glaube, in meiner Küche habe ich bestimmt schon seit zehn Jahren nicht mehr gekocht.«
Sie wies entschuldigend in Richtung Küche.
Ella reckte sich ein wenig und sah, dass auch die Küche übervoll mit Kleidungsstücken war. Die meisten davon sahen aus wie exklusive Kleider, die in schützenden Plastikhüllen hingen.
»Was im März 1976 genau geschah, werde ich wahrscheinlich nie ganz begreifen«, begann Marie. »Bereits seit Monaten herrschte eine zunehmende Spannung zwischen Freddie und Christopher. Niemand bezweifelte, dass sie sich liebten, doch solange sie nicht zusammenleben konnten, kamen sie kaum jeder allein klar. Jedes Mal, wenn Freddie wegfuhr, versank Christopher in einer Art apathischem Dunkel. Er ging zwar jeden Morgen zur Arbeit und kam abends wieder, aber er war nur noch ein Schatten seiner selbst. Immer wieder versuchte er Freddie dazu zu bewegen, sein altes Leben aufzugeben und bei ihm in Paris zu wohnen. Doch Freddie tat sich wohl noch zu schwer mit der Tatsache, dass
Weitere Kostenlose Bücher