Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
anrief. Er berichtete, dass der Staatsanwalt etwas verblüfft gewesen war, als er ihm den Fall unterbreitete. Schließlich geschah es nicht alle Tage, dass ein Fall von gestörter Totenruhe aufgedeckt wurde. Dennoch hegte der Staatsanwalt angesichts der Umstände des Falles nicht die Absicht, Anklage zu erheben. Ella hatte längst nicht auf alles eine Antwort, aber die Untersuchung des Handys hatte zumindest eines ergeben. Die Nachricht auf dem Handy des jungen Mannes war erst verfasst worden, nachdem die Mutter zum ersten Mal den Notruf gewählt hatte.
Kapitel 12
Um Punkt elf Uhr betrat ein kleingewachsener schmaler Mann die Konditorei. Er trug einen Tweedanzug und sah Woody Allen nicht unähnlich, dachte Ella, bevor sie aufstand und ihm zuwinkte. Es konnte niemand anderes sein als Gilbert Gustavsson. Er lächelte und beeilte sich, an ihren Tisch zu kommen. Ella hatte einen der Tische ergattert, die zwischen zwei kurzen Bänken mit hohen Rückenlehnen standen, sodass sich kleine abgeschiedene Abteile bildeten. Ella stellte zufrieden fest, dass er eine Aktentasche bei sich trug. Er redete leise und mit schwachem Dialekt, den Ella nicht recht einordnen konnte, denn er war äußerst bemüht, ihn zu verbergen.
»Ich habe mir die Freiheit genommen, Kaffee und Gebäck für Sie mit zu bestellen, Herr Gustavsson«, begann Ella höflich.
»Während Sie sich selbst mit einer Tasse grünem Tee und einem Zwieback begnügen, vermute ich?«, konterte er rasch.
Er lächelte und fügte hinzu:
»Nennen Sie mich um Gottes willen nicht Herr Gustavsson, denn dann habe ich den Eindruck, mich umdrehen und nach meinem Vater Ausschau halten zu müssen.«
»Gilbert«, versuchte Ella es.
»Schon viel besser!«
»Ich habe neulich ein interessantes Gespräch mit dem Bruder meines Großvaters, Hugo Rossing, geführt«, sagte Ella.
Gilbert sah sich unruhig um und bedeutete Ella diskret, etwas leiser zu sprechen.
»Ich glaube, man tut gut daran, diesen Namen nicht allzu laut auszusprechen«, sagte er ein wenig verlegen.
Als er sah, wie erstaunt Ella reagierte, entschuldigte er sich.
»Ich bin an solche Situationen nicht gewöhnt. Aber man darf nicht vergessen, dass so etwas wie Industriespionage immer noch vorkommt.«
Ella nahm sich zusammen und unternahm einen neuen Versuch.
»Wenn ich den alten Herrn richtig verstanden habe, war es seine Idee, meinen Vater für eine begrenzte Zeit als Berater einzustellen.«
Gilbert nickte und lächelte kurz.
»Die Unregelmäßigkeiten waren mir und meinen Kollegen von der betriebsinternen Buchhaltung bereits im Herbst 1975 aufgefallen. Als ich begriff, in welche Richtung unsere Informationen wiesen, setzte ich Hugo und Ernst davon in Kenntnis, die mich unmittelbar baten, die Angelegenheit vertraulich zu behandeln. Ich sollte ihnen direkt Bericht erstatten und die übrigen Mitarbeiter der Abteilung außen vor halten.«
Er trank einen Schluck von seinem Kaffee und fuhr fort.
»Als Unterstützung erhielt ich den Vorarbeiter einer unserer Fabriken, einen Mann, dem Ernst vertraute, und Ihren Vater. Genau wie Sie sagten, es war Hugos Idee, Frederick mit einzubeziehen.«
Gilbert flüsterte den Namen nahezu, als würde einer der anderen Gäste in der Konditorei sie hören können. Der Altersdurchschnitt im Café lag allerdings bei mindestens fünfundsiebzig, wie Ella feststellte.
»Es war Fredericks Auftrag, die Schäden für das Unternehmen zu begrenzen. Die Betrügereien des jungen Waldemar waren nicht besonders ausgeklügelt, was dazu führte, dass wir sie rasch durchschauten. Aber die Spuren zu verwischen war umso schwieriger. Während ich alle Zahlen und Unterlagen bereitstellte, die Frederick benötigte, erledigte Klaus alle möglichen Aufgaben für uns. Er besorgte Stempel und Unterschriften, bei denen ich mich nicht einmal traute zu fragen, wie er an sie herangekommen war.«
Klaus. Da war der Name wieder, dachte Ella. Der Name, den Estrid zu Hause bei Ernst und Grete in den Tagen vor dem Brand aufgeschnappt hatte.
»Und wessen Plan war das?«, fragte Ella geradeheraus.
Gilbert wurde mit einem Mal ernst.
»Ich glaube nicht, dass jemand so richtig begriff, was Ihr Vater im Sinn hatte. Er sagte lediglich, dass er alles in Ordnung bringen würde und dass keine Spur von Waldemars Machenschaften zurückbleiben würde. Erst im Nachhinein stellten wir fest, dass er sich selbst als Eigentümer der fiktiven Tochtergesellschaften eingetragen hatte, die Waldemar gegründet und benutzt hatte, um
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