Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
erinnerte sich daran, wie sie und Judit einmal draußen vorbeigegangen waren und Grete durchs Fenster gesehen hatten. Ella hatte damals vorgeschlagen, hineinzugehen und sie zu überraschen, doch Judit hatte sie darauf hingewiesen, dass Grete unter keinen Umständen gestört werden dürfte, wenn sie dort saß. Sie brauchte die Zeit für sich selbst. So hatte Judit es ausgedrückt.
Gilbert Gustavsson hatte nicht im Mindesten erstaunt geklungen, als Ella ihn anrief. Hugo hatte ihn bestimmt vorgewarnt, dachte sie. Tatsächlich hatte Hugo ihm aber sein Einverständnis gegeben, über Dinge zu sprechen, über die Stillschweigen zu bewahren er einst geschworen hatte. Es war Ella, die vorschlug, sich auf neutralem Boden zu treffen. Am Telefon hatte er zwar wie ein freundlicher älterer Herr geklungen, aber sie zog es dennoch vor, ihn nicht zu Hause aufzusuchen.
Sie schaute durch das kleine Küchenfenster hinaus. Sie hatte noch nicht angefangen, die alte Küche zu renovieren, aber andererseits hatte sie sie auch noch nicht intensiv zum Kochen genutzt. Draußen war schönes Wetter; es war einer der ersten Tage, an denen man spüren konnte, dass der Frühling in der Luft lag. Vielleicht würde sie es noch schaffen, sich einen Frühlingsmantel zu kaufen, bevor sie sich mit Gilbert Gustavsson traf, dachte sie, als plötzlich ihr Handy klingelte. Sie hatte Bereitschaftsdienst und hatte wie immer alle Gespräche vom Diensttelefon auf ihr privates Handy umgeleitet, um nicht zwei Handys mit sich herumschleppen zu müssen. Leider hatte das zur Folge, dass sie nie sicher sein konnte, ob ein Anruf privat war oder von der Polizei kam. Sie erkannte die Nummer auf dem Display nicht, sodass sie sich sicherheitshalber mit ihrem Titel meldete.
»Rechtsmedizin, Doktor Ella Andersson.«
Eigentlich verabscheute sie Titel, hatte jedoch gelernt, dass es einen enormen Vorteil in sich barg, den Anrufer unmittelbar darüber aufzuklären, dass er mit einem Arzt sprach.
»Hier ist Jonny Duda.«
Ausnahmsweise klang der Kriminaltechniker einmal so, als befände er sich im Büro. Im Hintergrund waren keine störenden Verkehrsgeräusche zu hören.
»Was haben Sie denn an einem so schönen Frühlingstag für mich?«, fragte Ella.
Sie hoffte, dass sie ihr Treffen mit dem Buchhalter nicht absagen würde müssen. Denn er schien nicht unbedingt jemand zu sein, der ein Handy bei sich hatte, überlegte sie, bevor Jonny Duda antwortete.
»Nichts Akutes«, begann er. »Mir ist nur gerade etwas eingefallen, das möglicherweise von Interesse für Sie sein könnte.«
Damit war Ellas Neugier geweckt.
»Und welche nicht akuten Neuigkeiten wollen Sie mir an einem Samstag mitteilen?«
»Erinnern Sie sich noch an den Fall mit dem jungen Mann, der sich in der Garage seiner Eltern erhängt hat?«, fragte er.
Ellas Puls schnellte in die Höhe. Sie hatte gehofft, diesen Fall in der vergangenen Woche abzuschließen, hatte sich jedoch nicht dazu aufraffen können. Als sie ihr Gutachten formulieren wollte, hatte sie gezögert. Sie wusste zwar bereits, was zu tun war, doch sie hatte es nicht geschafft, es anzugehen.
»John Westmark«, antwortete Ella kurz.
»Ja, so hieß er«, bestätigte Jonny.
»Und an was haben Sie gedacht?«, fragte Ella ungeduldig.
»Mir ist eingefallen, dass wir ja sein Handy beschlagnahmt haben«, als wir vor Ort waren.
Er zögerte, bevor er fortfuhr.
»Und als ich hier im Büro saß und nichts Besseres zu tun hatte, hab ich es mir mal etwas näher angeschaut. Auf dem Display hatte jemand eine Nachricht hinterlassen: Verzeiht .«
Jonny erklärte sachlich, was ihm daran aufgefallen war, und Ella merkte rasch, dass seine Untersuchung des Handys das entscheidende Puzzleteil bildete, das sie benötigte. Sie atmete aus. Jetzt würde sie vielleicht endlich das Gutachten schreiben können, das sie so lange vor sich hergeschoben hatte.
Sie telefonierte weitere zehn Minuten mit Jonny und informierte ihn über die Internetadresse, die man ihr hatte zukommen lassen. Jonny versprach, sich wieder bei ihr zu melden, nachdem er sich bei der Staatsanwaltschaft erkundigt hätte. Denn Ella wollte im Hinblick auf ihren nächsten Schritt das Gesetz auf ihrer Seite haben. Sie wusste, dass sie diesen Fall schon bedeutend länger als üblich hinausgezögert hatte, sah es aber als ihre Pflicht an, ihre Arbeit zu Ende zu bringen. Denn niemand anders würde sich für den jungen Mann einsetzen.
Es dauerte nicht länger als eine Viertelstunde, bis Jonny wieder
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