Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
Gelder aus dem Hauptunternehmen zu veruntreuen. Nicht einmal Waldemar war so unvorsichtig gewesen, sich selbst als Strohmann einzusetzen.«
»Als Strohmann?«
Ella schaute Gilbert in seinem englischen Tweedanzug verständnislos an.
»Ein Strohmann ist derjenige, der für das fiktive Unternehmen verantwortlich zeichnet. Normalerweise irgendein Unbeteiligter, der keine Ahnung davon hat, dass er seinen Namen für kriminelle Zwecke hergibt«, erklärte Gilbert. »Aber Ihr Vater hat keinen Strohmann angeheuert«, fügte er hinzu. »Er hatte vor, selbst in die Bresche zu springen.«
Gilbert schaute hinunter auf sein halb gegessenes Kuchenstück und schüttelte den Kopf.
»Ich habe nicht geahnt, dass er ein doppeltes Spiel spielte. Und noch dazu ein sehr gefährliches.«
»Ein doppeltes Spiel?«, fragte Ella.
»Wenn das Feuer nicht ausgebrochen wäre«, antwortete Gilbert, »hätte Ihr Vater das Land mit einer ansehnlichen Summe Geld auf der Bank verlassen können.«
»Wie bitte?«
Ella begriff plötzlich gar nichts mehr. Ihre Gedanken wirbelten herum, und sie konnte nicht klar denken. »Ihr Vater hat nicht nur in genialer Weise dafür gesorgt, dass es so aussah, als wäre er für Waldemars Manipulationen verantwortlich«, begann Gilbert, »er erhöhte die Summe der veruntreuten Gelder auch noch um fast eine Million.«
In seiner Stimme lag so etwas wie Bewunderung, als er fortfuhr.
»Ich habe nie herausgefunden, wie er an dieses Geld herangekommen ist.«
Er hielt inne, als dächte er immer noch darüber nach.
»Als das Unglück eintraf und die Strategie Ihres Vaters ans Licht kam, pfiff Ernst auf das verschwundene Geld. Für ihn war es keine besonders hohe Summe. Ich hatte immer den Eindruck, dass er der Auffassung war, die Sünde hätte sich selbst gestraft, und dass Frederick schließlich nie etwas von dem Geld hatte. In diesem Zusammenhang war es zwar eher ein kleineres Problem, aber es ließ mich nie ganz los. Ihrem Vater war es in irgendeiner Weise gelungen, direkt von Ernsts Konto Geld auf ein Schweizer Bankkonto zu transferieren.«
Ella dachte eine Weile nach.
»Haben Sie aus diesem Grund das Obduktionsprotokoll meines Vaters angefordert?«
Gilbert starrte sie verblüfft an. G. Gustavsson. Der Gedanke war ihr merkwürdigerweise gerade erst gekommen. Er wand sich auf seinem Stuhl.
»Ich habe die Unterlagen nie bekommen«, antwortete er beschämt.
Ella zuckte mit den Achseln. Dann führte sie ihre Überlegungen weiter aus.
»Mein Vater soll also erst Ernst und Hugo aus der Patsche geholfen haben, indem er die Schuld für etwas auf sich nahm, was Waldemar begangen hatte, und sich dann an dem Coup bereichert haben?«
Das Ganze kam Ella erst einmal ziemlich weit hergeholt vor. Doch langsam erschloss sich ihr die Logik darin. Die merkwürdigen nächtlichen Aktivitäten hatten sich in einer Zeit abgespielt, in der das Leben ihres Vaters, so wie er es selbst vermutlich auffasste, dabei war, seinen Sinn zu verlieren. Vielleicht hatte er darin schlicht und einfach die einmalige Chance gesehen, allem zu entfliehen. Die Frage war nur, ob er sie ergriffen hatte oder ob sie ihm verwehrt geblieben war. Ella musste an das Skelett in Erlandssons Garten denken. Sie schob den Gedanken beiseite und konzentrierte sich stattdessen auf Gilbert. Er saß inzwischen zusammengesunken da und stocherte in seinem Kuchen herum.
»Wann haben Sie das letzte Mal mit meinem Vater gesprochen?«, fragte sie, weil ihr nichts anderes einfiel.
Er schaute auf und runzelte die Stirn.
»Es muss an einem der Tage vor dem Brand bei Ernst gewesen sein.«
Er zögerte die Worte hinaus, als wüsste er nicht genau, was er preisgeben durfte. Oder er erinnerte sich ganz einfach nicht mehr genau.
»Ich weiß noch, dass Ernst entschieden hatte, unsere Zusammenkünfte nicht mehr in der Firma abzuhalten. Stattdessen trafen wir uns spätabends bei ihm. Oft dauerten unsere Besprechungen die halbe Nacht, und ein paar Mal bin ich auch direkt von Ernsts Wohnung zur Arbeit gefahren. Die letzte Nacht war die anstrengendste. Hugo hatte mich gebeten, sämtliche Rechnungen noch einmal zu prüfen, die von Waldemars Scheinunternehmen ausgestellt worden waren. Es durfte kein einziger Hinweis auftauchen, der sich auf Waldemar zurückführen ließ. Dann gingen wir in Ernsts Küche gemeinsam das Material durch. Ich weiß noch, dass diese Estrid gerade irgendwohin gefahren war und Arne viel zu starken Kaffee gekocht hatte.«
Gilbert schien wieder zu zögern.
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