Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
möglicherweise geradewegs ins Glück geführt hätte, wenn die Launenhaftigkeit des Schicksals ihm nicht einen Streich gespielt hätte. Vielleicht sogar auch zu einem Menschen, mit dem er sein Glück hätte teilen können.
Ella dachte daran, dass es vermutlich sogar dieser Mann war, der versucht hatte, Kontakt zu ihr aufzunehmen, als er auf dem Parkplatz vor ihrer Tür gewartet und ihr die Buchungsbestätigung für eine Reise zugesteckt hatte, aus der nun nichts mehr werden würde. Ella schluckte schwer. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen.
»Nur hineinfühlen, nicht mitfühlen.« Sie wiederholte die Worte wie ein Mantra.
»Wie bitte?«
Jonny schaute Ella fragend an, die neben ihm saß und etwas vor sich hinmurmelte, doch sie machte eine abwehrende Handbewegung. Jonny bog auf den kleinen Parkplatz vor den blickdichten Scheiben des Obduktionssaals ein, und Ella stieg deprimiert aus dem Wagen. Das triumphierende Gefühl, das sie während ihrer Suche nach der Wahrheit noch empfunden hatte, war wie weggeblasen.
»Wenn Sie irgendwann einmal Hilfe benötigen sollten, Doktor Andersson, wissen Sie ja, wo Sie mich finden können«, sagte Jonny und verabschiedete sich.
Ella lächelte zur Antwort und schloss die Wagentür. Eines der Autos auf dem Parkplatz war ein großer schwarzer Mercedes. Ein Wagen, den sie noch nie zuvor dort hatte stehen sehen. Sieht aus wie der Wagen von einem Mafiaboss, dachte sie, als ihr plötzlich ein anderer Gedanke kam. Sie fuhr herum und sah, wie Jonny auf dem Parkplatz gerade wendete. Sie rannte auf sein Auto zu und riss die Wagentür auf. Er starrte sie verblüfft an.
»Mein Gott, ich hätte Sie umfahren können«, rief er erschrocken aus.
Ella entschuldigte sich, setzte sich erneut auf den Beifahrersitz und schloss die Tür. Sie blieben noch ein paar Minuten auf dem Parkplatz stehen, bevor Jonny schließlich auf die Straße abbog. Er hatte ihr versprochen, alte Unterlagen ausfindig zu machen, obwohl er nicht mit Sicherheit sagen konnte, wie lange die Unterlagen aufbewahrt wurden, nach denen sie fragte. Doch er vermutete, dass wie bei vielen anderen Behörden auch die meisten Unterlagen bedeutend länger aufgehoben wurden als nötig. Der Arbeitsaufwand, die Archive auszusortieren und alte Dokumente wegzuwerfen, war einfach zu hoch. Wenn es sich um einen neueren Fall gehandelt hätte, würde er die Unterlagen innerhalb von fünf Sekunden hervorholen können, hatte er ihr versichert. Jetzt würde er stattdessen versuchen, seine guten Kontakte zum Archiv geltend zu machen.
Jonny war froh gewesen, ihr behilflich sein zu können, und Ella hatte seine Hilfe dankbar angenommen. Vielleicht würde er ja finden, was sie suchte.
Ella blieb bis nach achtzehn Uhr im Büro. Im Verlauf des Tages hatte sie das Gutachten zum Fall John Westmark fertiggestellt. Sie hatte ihren Kollegen nicht im Detail erzählt, wie sie die Eltern ausgefragt hatte, aber sie wusste, dass es dem Kollegen, der den Fall noch einmal durchging, sicher aufgefallen wäre, wenn sie den Vorgang gänzlich ausgespart hätte. Unabhängig davon, wie erfahren ein Rechtsmediziner war, wurden alle Gutachten noch einmal von einem Kollegen geprüft. Auf diese Weise versuchte man Fehlschlüssen vorzubeugen. Indem man die Gutachten der Kollegen las, erhielt man auch einen guten Einblick in die Fälle, die die Abteilung durchliefen. Im Fall John Westmark übernahm Doktor Kauffman die Rolle des Prüfers.
Am späten Nachmittag war er in Ellas Büro gekommen und hatte die Tür hinter sich geschlossen. Ella hatte das als schlechtes Zeichen aufgefasst. Doch er gab lediglich einen einzigen Kommentar zu ihrem Gutachten ab – sie hatte ein Komma vergessen. Ohne eine Anmerkung zum Inhalt war das Gutachten daraufhin abgestempelt und an die Polizei geschickt worden. Die Eltern hatten bereits zuvor beantragt, Einblick in das Gutachten zu erhalten, doch Ella wusste, dass es dazu des Einverständnisses der Polizei bedurfte. Es handelte sich schließlich um die Ermittlungen in einem Todesfall, und solange sie noch andauerten, bestand eine Geheimhaltungspflicht hinsichtlich der Voruntersuchungen. Selbstverständlich würde das Gutachten letztendlich auch den Eltern zugänglich gemacht werden, doch es war nicht in erster Linie an sie gerichtet, sondern an die Polizei. Der Fall war abgeschlossen. Sie atmete aus, nahm ihren Mantel und verließ das Gebäude.
*
Niemand hatte geöffnet, als er geklingelt hatte. Mit einem schiefen Lächeln
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