Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
Tweedanzug und seine nervöse Art hoben sich deutlich von den dunklen Anzügen und Kostümen ab. Gilbert stand an einem der Telefone, brach das Gespräch jedoch ab, als er Waldemar erblickte, und eilte nach draußen, wo er in einem Taxi verschwand. Waldemar hatte keine Zeit verloren. Mit schnellen Schritten ging er auf den Parkplatz hinaus und setzte sich in den Jaguar. Der überdimensional große, Benzin schluckende Motor heulte auf, als Waldemar ihn ungeduldig startete. Auch wenn er das Taxi nicht mehr sehen konnte, in das Gilbert gestiegen war, konnte er sich vorstellen, wohin es gefahren war. Gilberts Adresse war eine der ersten Informationen, die er eingeholt hatte.
Waldemar fuhr schnell, versuchte jedoch die Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht zu überschreiten. Wenn er in seinen Therapiesitzungen eines gelernt hatte, dann war es Impulskontrolle. Obwohl alles in ihm danach schrie, das Gaspedal bis zum Anschlag durchzutreten, fuhr er beherrscht mit einer Geschwindigkeit von knapp unter fünfzig Stundenkilometern.
*
Von Ella konnte man das allerdings nicht behaupten. Konzentriert fuhr sie, so schnell sie konnte. Gilberts Adresse in einem Wohnviertel unmittelbar außerhalb der Innenstadt hatte sie von der Auskunft erfahren, die sie auf dem Weg zu ihrem Wagen angerufen hatte. Ohne den Blick von der Straße abzuwenden, wählte sie ein ums andere Mal seine Telefonnummer. Doch er meldete sich nicht. Ihr kam in den Sinn, wie Ernst neben ihr gesessen hatte, als er mit ihr im Teenageralter das Autofahren geübt hatte. Judit besaß zwar einen Führerschein, war jedoch, soweit Ella sich erinnern konnte, nie selbst gefahren. Stattdessen hatte Ernst auf dem Beifahrersitz gesessen und sie ausprobieren lassen, wie schnell seine Autos fuhren. Außer für den Mercedes hatte er wie sein Bruder eine Vorliebe für englische Automobile gehabt. Ernst hatte sie sogar seinen geliebten Aston Martin fahren lassen.
Als Waldemar in die Straße vor Gilberts Haus einbog, beobachtete er zufrieden, wie ein Taxi wegfuhr. Gilbert selbst konnte er nirgends sehen. Er parkte vor dem Mietshaus, streifte sich ein Paar schwarze Lederhandschuhe über und betrachtete das weiß verputzte zweigeschossige Wohnhaus aus den 40er Jahren. Die großen Türen aus dunklem Holz mit schmalen, blickdichten Glasfenstern ließen Waldemars Mut zunächst sinken, doch mit einem Seufzer der Erleichterung stellte er fest, dass die Tür unverschlossen war. Der gesamte Eingangsbereich war mit Marmor gefliest, und die Namen der Mieter standen auf einem Schild unmittelbar neben der Haustür. G. Gustavsson wohnte im Erdgeschoss. Waldemar sah sich um. Im Hausflur war kein Mensch zu sehen, und es herrschte Grabesstille. Im Erdgeschoss befanden sich drei moderne Wohnungstüren aus Stahl. Zufrieden dachte er, dass die Türen bestimmt hervorragende schallisolierende Eigenschaften besaßen. Er klingelte.
Gilbert war zusammengefahren, als es an seiner Wohnungstür klingelte. Vorsichtig hatte er sich zur Tür geschlichen, innegehalten und gehorcht. Wonach, wusste er selbst nicht. Die kompakte Wohnungstür hatte bislang noch keinen Laut von außen hereindringen lassen, seit sie installiert worden war. Er hatte es bitter bereut, dass er damals keinen Türspion hatte einbauen lassen, als es ihm im Zusammenhang mit dem Einbau der Sicherheitstüren angeboten worden war. Er war wie immer geizig gewesen oder sparsam, wie er es zu nennen vorzog. Zögerlich schloss er die Wohnungstür auf und drückte den Türgriff herunter. Im selben Augenblick wurde die Tür mit Schwung aufgestoßen, sodass er mit voller Wucht in die Wohnung zurückgeworfen wurde. Die Hand über seinem Mund hinderte ihn daran zu schreien.
Waldemar sah sich in der kleinen Wohnung um. Es war dunkel, und lediglich der Schein der grünen Schreibtischlampe erhellte das Wohnzimmer. Vom sparsam möblierten Zimmer führte eine Tür zur Terrasse hinaus. Die Wohnung war klinisch sauber und frei von jeder Form unnötigen Zierrats. Er ließ seinen Blick über den leeren Schreibtisch, das Sofa mit dem Couchtisch und die Bücherregale wandern. Nirgends auch nur die geringste Spur; weder vom Dokument, das die Frau vor dem Archiv meinte, unter Gustavssons Jackett entdeckt zu haben, noch von Gustavsson selbst. Waldemar ging in das kleine Schlafzimmer und schaute unters Bett und in den Kleiderschrank. Das Ganze war in keinster Weise so gelaufen, wie er es sich vorgestellt hatte. Er war sich zwar nicht ganz sicher, was er eigentlich
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