Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
vollständig auszublenden und Platz für neue zu schaffen. Wenn sie wieder auftauchte, fühlte sie sich jedes Mal viel wacher und klarer im Kopf.
Das Geräusch des laufenden Wassers, das durch die Wohnung drang, schluckte die vorsichtigen Schritte des Eindringlings auf dem Steinfußboden. Auf einer Stereoanlage über einem kleinen Stapel mit Post lag das Messer, das die Frau eben noch in der Hand gehalten hatte. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, ein Auge auf die nackte und inzwischen unbewaffnete Frau auf dem Badewannenrand zu werfen. Sie drehte den Wasserhahn zu und sank langsam, nahezu meditativ ins Wasser. Das große Badezimmer füllte sich mit warmem Wasserdampf und verwischte die Konturen der Frau. Es war so still in der Wohnung, dass er sich nicht würde bewegen können, ohne dass die Frau in der Wanne es hörte. Schon gar nicht würde er die Wohnung verlassen können. Doch plötzlich, wie auf einen Befehl hin, holte sie tief Luft und verschwand unter der Wasseroberfläche. Jetzt war seine Chance gekommen.
Als Ella ihren Kopf wieder über die Wasseroberfläche schob, fühlte sie sich erstaunlicherweise überhaupt nicht klar im Kopf. Eher konfus. Mit irritierter Miene blieb sie unbeweglich in der Badewanne sitzen und starrte auf die Badezimmertür. Sie war jetzt geschlossen.
Es war fünf Minuten nach sieben, als Ella nur einen Steinwurf von ihrem Ziel entfernt einen Parkplatz fand. In der vergangenen Woche hatte die Kälte die Stadt fest im Griff gehabt, sodass nun lange, Unheil verkündende Eiszapfen vom Dach des alten Hauses hingen. Die Maklerin stand geduldig vor der imposanten Haustür und wartete. Das Haus lag zwar an einer stark befahrenen Straße, doch seine Pracht machte diesen Nachteil allemal wett. Hier hatten einmal die Mächtigen der Stadt gewohnt, und noch heute beherbergten die Häuser entlang der Straße einige der schönsten und teuersten Wohnungen und Büros. Ella hatte die Wohnungsanzeige entdeckt, als sie am Sonntagmorgen ausnahmsweise einmal Zeit gefunden hatte, in aller Ruhe die Zeitung zu lesen. Eine einfallsreiche Maklerfirma hatte mittels eines Werbeprospekts auf sich aufmerksam gemacht, der in der Zeitung steckte. Die Firma bot zwar nur drei Wohnungen an, aber alle drei hatten ihr sofort gefallen.
Ella hatte angefangen die Wohnungsinserate in der Zeitung und im Internet zu lesen, sobald ihre Trennung von Markus feststand. Im Anzeigenteil hatte sie daraufhin unmittelbar eine fantastische Wohnung entdeckt, die perfekt für sie gewesen wäre. Perfekt, wenn sie nicht einen kleinen Haken gehabt hätte. Die Wohnung lag direkt neben Gretes. Es handelte sich um den Teil der Wohnung, den sie hatten abtrennen lassen, nachdem Ernst sich von seinem Vorsitz im Vorstand zurückgezogen hatte. Die Fotos der Wohnung sahen aus wie aus einer Einrichtungszeitschrift. Sie hatte erwogen, nur zum Spaß hinzugehen und sie sich anzuschauen, ließ es jedoch aus Angst davor sein, sich in sie zu verlieben. Tür an Tür mit Grete zu wohnen erschien ihr nicht gerade ein ansprechender Gedanke.
Ella hatte schnell die Lust an den Fotos und Beschreibungen der Wohnungen verloren, die bedeutend mehr versprachen, als sie letztlich halten konnten. Nach drei Besichtigungen stellte sie ihre Suche erst einmal ein und betrachtete daraufhin alle weiteren eventuellen Objekte mit größter Skepsis. Sie hatte inzwischen gelernt, die kryptische Sprache zu deuten, die die meisten Maklerfirmen benutzten. Ideale Grundrisse waren niemals so spannend, wie sie bezeichnet wurden, sondern eher unvorteilhaft, und Badezimmer waren nicht pittoresk oder optimiert, sondern einfach nur eng. Doch die sonntägliche Werbebeilage, in der die Wohnung in dem Haus beschrieben wurde, vor dem die Maklerin jetzt wartete, hatte ihre Neugier geweckt.
Der kurze Text hatte eigentlich nichts darüber ausgesagt, ob die Wohnung den Ansprüchen genügen würde, die sie an ihre zukünftige Wohnsituation stellte. Sie erfuhr weder, wie viele Zimmer sie hatte, noch, was sie kosten sollte, aber Ella hatte den Eindruck, dass sich die Anzeige direkt an sie richtete. »Französischer vergoldeter Spiegel mit dazugehöriger Wohnung von traditionsreicher Eigentümergemeinschaft zu veräußern.« Die anderen beiden Wohnungen, die die Maklerfirma anbot, signalisierten ihr, dass die Qualität des Objekts sie nicht enttäuschen würde. Die Wohnungen lagen an den denkbar besten Adressen, und die Firma hatte hinsichtlich der Objektbeschreibungen nicht an
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