Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
sollte.
»Eleonor Liedenburg-Rossing, nicht wahr?« Die Frau musste nach den beiden Nachnamen eine Pause machen, da ihre Ausatmungsluft nicht mehr ausreichte.
Ella entzog ihre Hand dem Griff der sehnigen Frau. Sie hatte diesen Nachnamen nicht mehr benutzt, seit sie zu Hause ausgezogen war. Er gehörte ihrer Vergangenheit an und verband sie mit den Verwandten, mit denen sie keinerlei Gemeinschaft empfand. Aus Eleonor wurde Ella, und da sie gesetzlich das Recht dazu besaß, den Nachnamen ihres verstorbenen Vaters anzunehmen, hatte sie es zum großen Verdruss ihrer Verwandtschaft umgehend getan. Der Name Andersson war ihrer Mutter offenbar allzu bürgerlich gewesen, um ihn bei ihrer Heirat anzunehmen.
»Sie müssen Gretes Enkelkind sein«, sagte die Frau mit einem dezenten Lächeln.
Ihre Zähne waren unnatürlich weiß, und Ella mutmaßte, dass sie ihren Zahnarzt nur unter Drohungen dazu hatte überreden können, ihr die Prothese in dieser Farbnuance anzufertigen.
»Eine Tatsache, an die ich so wenig wie möglich zu denken versuche«, antwortete Ella und begegnete dem Blick der Frau.
»Das verstehe ich«, sagte die Frau mit einem glucksenden Laut, der als Lachen begann und in einer Hustenattacke endete. Das Geräusch von Schleim, der sich auf besorgniserregende Art und Weise in den Atemwegen der Frau bewegte, hallte durch den Raum. Ella sah sich rasch um. Auf dem kleinen Tisch neben dem Sessel standen eine Karaffe mit Wasser und ein Glas. Dort lag ebenfalls ein Röhrchen Brausetabletten. Ella fischte sich das Röhrchen, schenkte das Glas halbvoll und warf eine Tablette hinein. Sie reichte Lovisa das Glas, deren Hustenattacke langsam abklang.
»Der schleimlösende Effekt dieses Medikaments ist eher umstritten«, begann Ella. »Aber ich nehme an, dass es Ihnen hilft, da Sie es zu Hause haben.«
Lovisa leerte das Glas und schaute leicht verwundert zu ihr auf.
»Nein, ich nehme es, weil es so verdammt gut schmeckt«, entgegnete sie und lächelte schief.
Ihre Stimme klang für einen Augenblick etwas klarer.
»Grete ist ein Teufelsweib von Gottes Gnaden«, sagte sie dann mit ernster Stimme.
Ella antwortete nicht, sondern stand einfach nur da und betrachtete Lovisa. Nach einer Weile des Schweigens hörten sie die behutsamen Schritte der Maklerin auf dem Parkett, doch Lovisa bedeutete ihr, sich im Hintergrund zu halten, während sie Ella weiterhin anblickte.
»Ich habe mich für eine andere Wohnsituation entschieden«, sagte sie mit heiserer Stimme. »Ich werde noch einen Monat lang hier wohnen, und dann gehört die Wohnung Ihnen, wenn Sie sie haben möchten. Die praktischen Details müssen Sie mit der Maklerin klären.«
Ella wunderte sich, dass Lovisa es geschafft hatte, die langen Sätze ohne größere Probleme auszusprechen. Die Kraftanstrengung hatte sie allerdings so mitgenommen, dass sie danach ermattet im Sessel zusammensank. Sie nahm ihre Gewohnheit wieder auf, die blauen Lippen bei jedem Ausatmen zusammenzupressen, woraufhin ihr eben noch so scharfer Blick einen glasigen und abwesenden Ausdruck bekam.
Ella richtete sich wieder auf und ging auf die Maklerin zu. Sie bat darum, den Jahresbericht der Eigentümergemeinschaft sowie das Protokoll der letzten Jahresversammlung und die Beschreibung der Wohnung einsehen zu dürfen. Sie setzten sich an den Esstisch, der mitten im Raum unter dem größten Kronleuchter stand. Ein Grundriss der Wohnung existierte nicht, doch den würde sie bestimmt beim Bauamt anfordern können, erklärte die Maklerin. Etwas verlegen merkte Ella an, dass sie noch nicht über den Preis für die Wohnung nachgedacht hatte. Die Maklerin setzte sie darüber in Kenntnis, dass die alte Dame keine Gebote anzunehmen gedachte, aber die Interessenten selbst treffen wollte, um den mutmaßlichen Käufer gutzuheißen. Sie hatte sich eingehend über den Marktwert informiert und daraufhin den Kaufpreis weit unter diesem angesetzt.
Ella unterschrieb den Vertrag stehenden Fußes und spürte, wie ihr Herz vor Aufregung laut pochte. Mit dem Erbe ihres Vaters würde sie nicht einmal einen Kredit für die Wohnung aufnehmen müssen. Sie hatte eigentlich keine Ahnung, wie sie mit dem ersten Teil der Wohnung, also dem engen Flur und der dunklen Küche, verfahren sollte, doch das war in diesem Zusammenhang das kleinste Übel.
Als Ella wieder in ihrem kalten Auto saß und frenetisch versuchte, die Heizung in Gang zu bringen, war sie so aufgedreht, dass sie unmöglich in ihre moderne Wohnung zurückfahren
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