Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
Superlativen gespart.
»Tut mir leid, dass ich etwas spät dran bin«, keuchte sie und streckte ihre Hand vor.
Draußen herrschten immer noch Minusgrade, sodass sich beim Ausatmen Kondenswolken bildeten. Die Maklerin war eine Frau um die fünfzig mit streng hochgestecktem feuerroten Haar und trug ein gut sitzendes dunkelgraues Kostüm und einen schwarzen Mantel.
»Lassen Sie uns ins Warme gehen«, entgegnete sie rasch und schob die schwere Tür auf.
Das Gebäude war Ende des 19. Jahrhunderts mit einer Fassade im Renaissancestil erbaut worden und strahlte Stabilität und Wohlstand aus. Zu beiden Seiten der Haustür standen Statuen von Männern mit bloßem Oberkörper und Lendenschurz.
»Kennen Sie die Gegend?«, fragte die Maklerin neugierig.
»Nur allzu gut«, antwortete Ella und betrat den kleinen, mit einem Gitter versehenen Aufzug.
Sie spürte den forschenden Blick der Maklerin auf sich, während sie in den dritten Stock hinauffuhren. Ihre Augen waren unnatürlich weit aufgerissen und ließen Ella an eine Hyperthyreose, eine Überfunktion der Schilddrüse denken. Soweit sie sich erinnern konnte, bewirkten dieselben Antikörper, die die Schilddrüse Amok laufen ließen, auch die Veränderungen an den Augen. Ella warf einen Blick auf den Hals der Maklerin, wo ganz richtig eine schmale verblasste Narbe zu erkennen war, die von einem Eingriff an der Schilddrüse zeugte. Während der Aufzug die verschiedenen Stockwerke passierte, konnte Ella wunderschöne Kronleuchter erkennen, die das geräumige Treppenhaus erleuchteten. Sie zählte vier Türen in jeder Etage.
»Ich dachte, dass das Haus vier Stockwerke hätte«, sagte Ella und betrachtete eingehend die Knöpfe im Fahrstuhl.
Die rothaarige Frau nickte.
»Es hat eine vierte Etage, aber der Aufzug führt nur bis in die dritte«, antwortete sie, als er mit einem Ruck stehen blieb. »In der obersten Etage fehlen außerdem die Verzierungen, die in allen anderen vorhanden sind«, fügte sie hinzu und schob die Gittertür auf.
In der dritten Etage gab es nur eine Tür. Sie war nahezu drei Meter hoch und bewirkte, dass Ella sich winzig klein vorkam. Sie blieben stehen und betrachteten kurz die Tür, bevor sich die Maklerin räusperte, sich zu Ella umdrehte und einen Schritt auf sie zumachte. Ella wich instinktiv zur Seite. Als sie sich ein wenig drehte, sah sie, dass es auf dieser Etage doch noch eine weitere Tür gab, die allerdings aufgrund der mit Paneelen versehenen Wände nahezu unsichtbar war. Auf dem Türschild standen lediglich die Buchstaben L v D.
»Da wären wir«, sagte die Maklerin vorsichtig, während sie pflichtschuldig klingelte und den Schlüssel im Schloss drehte.
Die Tür glitt auf und gab den Blick auf einen engen dunklen Flur frei. Ella nahm einen schwachen Geruch nach abgestandenem Zigarettenrauch wahr. Rechter Hand lag unmittelbar eine kleine Küche, die bestimmt seit den 40er Jahren nicht mehr renoviert worden war. Das Küchenfenster war klein und saß ungewöhnlich hoch in der Wand. Ella zog ihre Stiefel aus und stellte sie sorgfältig nebeneinander auf den Flurteppich. Die Deckenhöhe betrug fast vier Meter, was dem engen Flur und der kleinen Küche einen merkwürdig gedrungenen Eindruck verlieh. Am hinteren Ende des Flurs erblickte sie zwei weitere Türen. An der linken Wand hing ein schwerer blutroter Samtvorhang. Ella ging neugierig auf die Türen zu und schob die erste ein Stück auf. Sie blickte in ein kleines Schlafzimmer mit einem schmalen Fenster zum Hof. Das Bett war von der Art, wie man sie aus Krankenhäusern kannte, dachte sie, bevor ihr Blick auf eine Sauerstoffflasche fiel, die am Bettpfosten hing. Bis auf den kleinen Spiegel, der auf dem Nachttisch lag, hatte sie noch keinen weiteren erblickt und erst recht keinen, der so groß war, dass man ihn bei einem Verkauf nicht aus der Wohnung hätte tragen können.
Sie zog verständnislos die Augenbrauen hoch, als sie dem Blick der Maklerin begegnete. Sie hatte nun ebenfalls die zweite Tür geöffnet, die den Blick auf ein kleines Bad mit vergilbten Fliesen freigab. Die Maklerin erwiderte ihren Blick amüsiert und nahm sie beim Arm. Ella unterdrückte einen Impuls, sich loszumachen, und ließ sich stattdessen zum Vorhang an der Wand führen. Die Maklerin schob den Stoff zur Seite. Durch einen Spalt an der dunklen Wand sickerte warmes Licht, das einen leuchtenden Rahmen bildete. Das war bereits die zweite Tür, die Ella übersehen hatte. Mitten auf der kleinen Tür saß ein
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