Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
kosmetischen Experimente am Wochenende hatten ihr ein gewisses Selbstvertrauen vermittelt, aber sie traute sich noch nicht geschminkt in die Arbeit zu gehen. Es dauerte bis Donnerstag, bevor sie erneut ihren Mut zusammennahm. Leider war die Prozedur im Bad so zeitraubend, dass sie es nicht mehr schaffte zu frühstücken.
Nach drei Obduktionen wurde Ella schwindlig, und sie spürte, wie ihr Blutzuckerwert absackte. Sie war froh, dass keiner ihr dezentes Make-up bemerkt hatte; jedenfalls hatte es keiner kommentiert. Sie streifte die Obduktionskleidung ab und stellte sich kurz unter die Dusche. Wenn sie nicht so hungrig gewesen wäre, hätte sie die morgendliche Prozedur gerne wiederholt, die ihre müden Augen jedenfalls ihrer Auffassung nach ein paar Jahre jünger erscheinen ließ. Vor dem Saal begegnete sie Simon, der gerade in die Mittagspause gehen wollte.
»Hast du Lust mitzukommen?«, fragte er sie freundlich.
Ella hatte inzwischen einen Punkt erreicht, an dem der Hunger sie nahezu apathisch werden ließ. Sie nickte, erklomm mühsam die Treppen, um ihren Mantel zu holen, und folgte Simon in die Kälte hinaus. Resigniert stellte sie fest, dass der Winter seinen eisigen Griff um den Landstrich keinesfalls zu lösen schien. Alle Autos auf dem Parkplatz waren mit Schnee bedeckt.
Simon fuhr einen alten Passat, dessen Heizung offenbar nicht funktionierte. Ella nahm an, dass er sich von seinem Geld lieber Kleidung als einen vernünftigen Wagen kaufte. Außerdem hatte sie den Verdacht, dass er ein kleines Vermögen für Restaurantbesuche ausgab, wenn er mit Frauen ausging. Simon erklärte ihr zerstreut, dass er den Wagen noch während des Studiums gekauft hatte, doch Ella war so matt, dass sie seinem Monolog nicht ganz folgen konnte. Stattdessen schaute sie aus dem Fenster. Als sie am Krankenhausareal vorbeikamen, erregte ein Paar ihre Aufmerksamkeit. Sie waren beide zu dünn angezogen, um sich draußen aufzuhalten, er mit einem weißen Arztkittel über der grünen Operationskleidung und sie mit einem knielangen weißen Schwesternkittel. Sie waren auf dem Weg in die Kantine. Die Frau hatte langes weizenblondes Haar und eine hübsche kleine Stupsnase. Sie lachten. Ella konnte zwar nur einen flüchtigen Blick auf sie werfen, während Simon vorbeifuhr, aber genau in diesem Augenblick berührten sich ihre Hände. Ella zuckte zusammen. Vor ihrem inneren Auge versuchte sie das Band zurückzuspulen, bevor dieser flüchtige Eindruck von ihrer Netzhaut verschwinden würde. Doch eigentlich war es gar nicht nötig. Sie war sich sicher. Der Mann, den sie gesehen hatte, war Markus.
Simon parkte vor einem kleinen italienischen Lokal nicht weit entfernt vom Bahnhof. Das Gebäude, in dem das Restaurant lag, erinnerte Ella an das Haus, in das sie bald einziehen würde. Sie musste sich auf die Lippen beißen, um nichts von ihrem Kauf zu erwähnen. Sie hatte ihren Kollegen noch nicht einmal von der Trennung berichtet und schämte sich plötzlich dafür. Zwar pflegte sie keinen privaten Kontakt zu ihnen, wusste jedoch selbst ziemlich viel über ihr Privatleben. Sie erzählten regelmäßig von ihren Häusern und was ihre Kinder so machten, während Ella eher bemüht war, sich zwar persönlich, aber nicht privat zu geben. Es war eine schwierige Gratwanderung.
Sie bekamen einen Tisch nahe dem Ausgang zugewiesen, und zu Ellas Freude kam das Essen in weniger als zehn Minuten, nachdem sie die Bestellung aufgegeben hatten. Sie aßen schweigend. Es schmeckte köstlich, und Ella beschloss, in Zukunft öfter essen zu gehen. Während der Jahre, in denen sie und Markus in der Wohnung wohnten, hatten sie die umliegenden Restaurants nur ein paar Mal besucht, obwohl das Essen ausgezeichnet und die Preise erschwinglich waren. Es entsprach einfach nicht ihrer Gewohnheit, an Wochentagen essen zu gehen. Oft waren sie auch erst im Nachhinein auf die Idee gekommen, ins Restaurant zu gehen, anstatt sich fetttriefende Pizza nach Hause bringen zu lassen.
»Wie geht es dir eigentlich?«
Simons Frage bewirkte, dass Ella ihre Gabel fallen ließ. Sie überlegte, ob sie ihre Gedanken über die Trennung möglicherweise nicht doch ausgesprochen hatte, hielt es jedoch für wahrscheinlicher, dass sie ihr Gefühlschaos in der letzten Zeit nicht ganz hatte verbergen können.
»Danke, dass du nachfragst, Simon.«
Er erspürte wie ein Bluthund, wenn irgendjemand psychisch nicht ganz im Gleichgewicht war, dachte Ella.
»Ich bin gerade dabei, mir ein neues Leben
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