Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
schienen auf ihn zuzukommen, und der Schweiß stand ihm in Perlen auf der Stirn. Ihm war übel.
Mit unsicheren Beinen stand er auf und ging zur Toilette. Sein einziger Gedanke war, dass keiner ihn in diesem Zustand sehen dürfte. Als Polizist durfte man keine Schwäche zeigen. Nicht einmal gegenüber seinen Kollegen. Nervös wischte er sich den Schweiß von der Stirn und versuchte sich unberührt zu geben, während er innerlich kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand. Seine roten Haare waren feucht geworden vom Schweiß, der ihm nun in die Augen lief. Es brannte. Irgendetwas in seinem Inneren hatte plötzlich eine Grenze erreicht, die ihn das Ganze nicht länger aushalten ließ. Er hielt sich selbst nicht länger aus. Die Lügen. Seine ganze Fassade drohte einzustürzen. Seine blutunterlaufenen Augen, die ihn in der Toilette aus dem Spiegel anstarrten, kamen ihm irgendwie fremd vor. Als gehörten sie jemand anderem.
Das kalte Wasser, das von seinem bereits nassen Gesicht hinunter auf seine Uniform rann, hatte für einen Augenblick seine aufkommende Panikattacke gedämpft, aber der Tatbestand blieb derselbe. Er würde sich nie wieder im Spiegel ansehen können, wenn er sich nicht für das verantwortlich zeigte, was er getan hatte. Er war gezwungen, Ordnung in das Chaos zu bringen, das er verursacht hatte. Er war gezwungen zu handeln.
*
Als Ella erwachte, hatte sie solchen Muskelkater in den Bauchmuskeln, dass sie sich auf die Seite rollen musste, um aufstehen zu können. Markus schlief auf seiner Seite des Bettes. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass er bereits dort gelegen hatte, als sie aus dem Fitnessstudio kam, also musste er Überstunden gemacht haben und irgendwann in der Nacht nach Hause gekommen sein. Es kam nicht selten vor, dass akute Operationen länger dauerten und eine Abendschicht in eine Nachtschicht überging. Sie betrachtete ihn und musste lächeln. Sie war froh darüber, dass sie weiterhin zusammenwohnen konnten, bis sie umziehen würde. Vielleicht würden sie nach der Trennung gute Freunde werden. Um nicht der Versuchung zu erliegen, die Hand nach ihm auszustrecken und seinen nackten Rücken zu streicheln, wappnete sie sich gegen ihren Muskelkater und kam auf die Füße. Nachdem sie lange geduscht und sich die Haare gebürstet hatte, fiel ihr Blick auf das zweite Regal im Badezimmerschrank. Dort bewahrte sie die Schminke auf, die sie bei ihrem baltischen Freund gekauft hatte. Seine Tipps hatte sie schon zum Teil wieder vergessen, und sie benötigte irgendeine Anleitung, um sich nicht völlig lächerlich zu machen.
Ella durchstöberte die Wohnung, bis sie fand, was sie suchte. Markus kaufte hin und wieder monatlich erscheinende Hochglanzmagazine, in denen er Berichte über Autos, Uhren und Design las. Sie blätterte diese Zeitschriften auch hin und wieder durch und musste zugeben, dass sie einen gewissen Unterhaltungswert besaßen. Doch jetzt war sie speziell auf eine Modereportage aus. Sie schlug eine Seite mit einem Portrait einer Frau auf, die Werbung für Schmuck machte. Die Frau hatte dieselbe helle Haut wie Ella, jedoch blondiertes Haar. Ihr Make-up war elegant und dezent, wie Ella es für heute ebenfalls anstrebte. Sie applizierte die Produkte vorsichtig in der Reihenfolge, die der junge Mann im Kaufhaus ihr empfohlen hatte. Sie überdeckte die dunklen Ringe unter ihren Augen mit einer hautfarbenen Creme, deren Farbton sich nicht allzu sehr von ihrer blassen Winterhaut unterschied. Das Ergebnis war gar nicht so übel, stellte sie erleichtert fest. Es war zwar nicht ganz identisch mit dem Bild in der Zeitschrift, aber schließlich stand ihr auch kein Photoshop-Programm zu Verfügung.
Obwohl sie mit dem Ergebnis zufrieden war, war sie froh, dass Markus immer noch schlief, als sie nach dem Frühstück in die Stadt aufbrach. Selbst einen ganzen Monat nach Weihnachten fand in den meisten Geschäften noch der Ausverkauf statt, sodass in der Fußgängerzone das reinste Gewimmel von Kauflustigen herrschte. An diesem Samstag zeigte das Thermometer ein paar Minusgrade an, aber als die Sonne zwischen den Wolken hervorlugte, fühlte es sich bedeutend wärmer an. Ella hatte eigentlich vor, sich ein neues Küchenmesser zu kaufen, ließ es aber sein, um sich das Gedränge in den Läden zu ersparen. Stattdessen setzte sie sich auf die Terrasse eines Cafés mit Heizstrahlern. Nahezu meditativ saß sie dort und nippte an ihrem Kaffee, während das Stadtleben langsam an ihr vorbeizog.
Die
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