Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
ihr eher darum ging, in Gesellschaft dort aufzutauchen.
Sie parkten neben einer Imbissbude, die eingeklemmt auf einer kleinen Grasfläche schräg gegenüber von dem Haus stand, in dem Grete wohnte. Zwei Männer in dunklen Mänteln kamen gerade aus der großen hölzernen Eingangstür von Gretes Haus. Der eine stützte sich mit gebeugtem Rücken auf einen Stock, während der andere ihm die Tür aufhielt. Der Gehweg war schlecht ausgeleuchtet, sodass man die Gesichter der Männer nicht genau erkennen konnte. Dennoch war unverkennbar, um wen es sich handelte. Hugo und Waldemar Rossing. Ernsts Bruder und Neffe pflegten auch nach dem Tod von Ernst immer noch engen Kontakt zu Grete. Grete hielt weiterhin einen großen Anteil an den Aktienposten des Rossingkonzerns, und auch wenn sie selbst keine aktive Rolle im Unternehmen spielte, hatten Hugo und Waldemar allen Grund, sich gut mit ihr zu stellen. Waldemar, der etwas jünger war als Judit, half seinem Vater auf den Sitz eines dunkelgrünen Sportwagens, der direkt vor der Haustür parkte. Im Gegensatz zu seiner Cousine war sein Äußeres nicht besonders gepflegt, und wenn man sie zusammen sah, hätte man eher meinen können, er wäre Judits Vater.
Waldemar warf Ella und Judit einen Blick zu, während er zur Fahrerseite ging und die Hand zum Gruß hob. Dann setzte er sich zügig in den Wagen und fuhr los. Ella und Judit blieben auf dem Gehweg stehen und schauten ihnen nach. Judit schüttelte den Kopf. Ella wusste, dass zwischen ihr und Waldemar schon immer eine gewisse Spannung geherrscht hatte. Sie konnte sich nicht erinnern, dass die beiden je miteinander gesprochen hätten, aber sie hatte nie erfahren, was zwischen ihnen vorgefallen war. Estrid hatte ihr allerdings anvertraut, dass Waldemar einmal hochkant aus der Konzernleitung geflogen war. Ella hatte daraufhin nachgefragt, was Estrid damit meinte, hatte aber nur eine ausweichende Antwort erhalten. Da Waldemar bereits in der Führungsetage saß, solange Ella sich erinnern konnte, musste das, worauf Estrid anspielte, bereits lange Zeit zurückliegen. Sie wusste über sein Privatleben nicht mehr, als dass er mehrfach verheiratet gewesen war und gemeinsam mit seiner jetzigen, bedeutend jüngeren Ehefrau zwei Kinder hatte.
Oberhalb der Eingangstür prangte ein steinernes Gesicht mit Bart. Der starre Blick der Büste hatte Ella bereits als kleines Kind Angst eingeflößt. Doch im Aufzug hinauf zu Gretes Wohnung war es der kritische Blick ihrer Mutter, den sie auf ihrem Körper spürte. »Siehst du, hat gar nicht weh getan«, sagte Judit und verzog den Mund.
Ella hatte ihre Kleidung zwar so gewählt, dass sie Judit und Grete gefallen würde, doch dort im Aufzug bewirkte sie lediglich, dass sie sich etwas steif vorkam.
»Nicht so schlimm, wie eine weitere Einladung zum Tee durchzustehen«, antwortete Ella kurz angebunden und wandte den Blick ab.
»Fang bloß nicht wieder damit an.«
Judits Tonfall war plötzlich hart und dem von Grete nicht unähnlich. Ein deutliches Anzeichen von Verärgerung.
»Mein Gott, es handelt sich schließlich nur um einen Nachmittag im Jahr.«
Ihre Stimme klang jetzt ein wenig weicher, aber ihre Enttäuschung war nicht zu überhören. Vielleicht hatte sie sich erhofft, dass Ella mit ihrem neuen Kleiderstil auch eine neue Einstellung Grete gegenüber entwickelt hätte, doch da täuschte sie sich. Es handelte sich eher um eine Art Verkleidung, dachte Ella – wie ein Wolf im Schafspelz. In der dritten Etage gab es genau wie vor Ellas neuer Wohnung nur zwei Türen. Eine größere und eine kleine. Die kleinere führte zu der Wohnung, die nun zum Verkauf stand und damals entstanden war, als Ellas Großvater in Rente ging. Judits Aussage zufolge wohnte darin zu Gretes Verdruss ein junges Paar mit beruflichen Karriereplänen. Zu allem Übel handelte es sich auch noch um Einwanderer. Letztgenanntes entsprach allerdings nur halb der Wahrheit. Die Mutter des Mannes war in Malaysia geboren, jedoch in England aufgewachsen, von wo aus sie als Neunzehnjährige nach Schweden gezogen war. Für Grete spielte es keine Rolle, dass der Mann, der in der Wohnung wohnte, niemals außerhalb Schwedens gelebt hatte. Seine Haut hatte eine dunklere Nuance, und seine Augen standen leicht schräg. Aus diesem Grund war sie äußerst bedacht darauf, langsam und deutlich mit ihm zu sprechen, wenn sie es einmal nicht schnell genug geschafft hatte, vor ihm in den Aufzug oder in ihre Wohnung zu flüchten. Ella erinnerte sich an
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