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Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson

Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson

Titel: Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Palm
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jedoch keine Miene. Ella fiel ein, dass keine der alten Damen aus völlig freien Stücken hergekommen war. Sie wagten es einfach nicht, Gretes Einladung fernzubleiben. Auch wenn sie inzwischen alt waren, waren sie Teil der besseren Gesellschaft, und wenn sie dieser noch für die Zeit angehören wollten, die ihnen verblieb, war es das Beste, sich mit Grete gut zu stellen. Der Schein musste gewahrt bleiben. Denn die Fassade war alles, was zählte. Ella war das eingetrichtert worden, seit sie ein kleines Mädchen war, und sie hatte bereits seit Langem genug davon. Die Stille, die nun folgte, war intensiv und unangenehm, aber nur von kurzer Dauer. Denn plötzlich klingelte Ellas Handy.
    Sie stand auf, ging in den Flur und meldete sich mit resoluter Stimme.
    »Rechtsmedizin, Ella Andersson.«
    Am anderen Ende der Leitung war es still. Sie betrachtete die Nummer auf dem Display und versuchte sich ein Lächeln zu verkneifen. Sie führte ein kurzes Gespräch, obwohl die Gesprächspartnerin am anderen Ende längst aufgelegt hatte.
    Sie ging zu den Frauen im Salon zurück, entschuldigte sich und murmelte etwas von Bereitschaftsdienst und der Untersuchung eines verdächtigten Gewalttäters.
    Als Ella im Aufzug stand, konnte sie ihr Lächeln nicht länger verbergen. Sie hatte Estrid ihre Handynummer gegeben, damit sie sie jederzeit erreichen konnte, wenn sie Hilfe benötigte. Aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass Estrid sie unmittelbar anrufen würde, um ihr aus Gretes Wohnung zu verhelfen.

Kapitel 6
    Die Kartons, die nun auch Teile des Fußbodens im Schlafzimmer bedeckten, erinnerten Ella daran, dass sie nur noch wenige Tage in der alten Wohnung verbringen würde. Die ersten Februarwochen waren schnell vergangen. Sie stellte fest, dass sie keineswegs alles gekauft hatte, was sie vor dem Umzug noch hatte anschaffen wollen. Zugleich spürte sie, dass es keine Eile hatte. Es wäre besser, sich Zeit zu nehmen und nur das zu kaufen, was sie wirklich haben wollte. Dennoch verbrachte Ella die Hälfte ihrer Mittagspause damit, den Markt im Hinblick auf Esszimmermöbel zu sondieren, die bei diversen Internetauktionen angeboten wurden. Der Gedanke daran, bald schon in einem eigenen Zuhause zu wohnen, beflügelte sie. Bevor sie das Büro um kurz nach siebzehn Uhr verließ, ging sie hinunter in den Obduktionssaal und lieh sich ein Otoskop aus, das man benutzte, um die Ohren von Patienten zu untersuchen. Innerhalb der Rechtsmedizin wurde das Instrument ausschließlich für die Untersuchung lebender Personen angewendet. Bei den Toten machte es wenig Sinn. Wenn man wissen wollte, wie der Bereich zwischen Mittel- und Innenohr aussah, schlug man ihn ganz einfach auf. Wenn der Schädel erst einmal aufgesägt war, handelte es sich lediglich um einen vorsichtigen, aber zielgerichteten Schlag mit dem Meißel.
    Estrid wohnte in einer kleinen Wohnung im alten Stadtkern. Die Gegend war in den letzten Jahrzehnten populär geworden, und Estrid konnte sich glücklich schätzen, dort eine Wohnung gefunden zu haben, doch für Gretes Ansprüche war der Stadtteil natürlich nicht fein genug. Estrids Wohnung war einfach aber geschmackvoll eingerichtet. Sie hatte offenbar nicht ihr halbes Leben lang bei der Familie Liedenburg-Rossing gearbeitet, ohne sich das eine oder andere über guten Geschmack anzueignen. Während ihrer berufstätigen Zeit hatte Estrid die meiste Zeit in der Mädchenkammer der Familie gewohnt. Ende der 70er Jahre hatte sie einen Matrosen kennen gelernt, mit dem sie zusammengezogen war. Ella konnte sich vage an einen muskulösen, immer sonnengebräunten Mann erinnern, der immer nur Estrids Sonntagskavalier genannt worden war. Aus welchem Grund Estrid jedoch nach nur wenigen Monaten wieder zurück in die Mädchenkammer der Familie Rossing gezogen war, hatte ihr keiner erklärt.
    Ella bat Estrid, auf einem Stuhl in der Küche Platz zu nehmen, und untersuchte ihre Ohren. Ihre Küche war eng und beherbergte mit Mühe und Not einen kleinen Tisch und zwei Stühle. Mehr hatte sie wahrscheinlich auch nie benötigt. Denn Estrid war nicht die Frau, die zu pompösen Abendessen einlud, jedenfalls nicht in ihre Küche. Ella erkannte die Stühle in der Küche wieder. Sie war sich sicher, dass Grete ebensolche in ihrem Esszimmer stehen hatte.
    Genau wie sie vermutet hatte, waren die äußeren Gehörgänge auf beiden Seiten mit Ohrenschmalz verstopft. Das Nachlassen des Hörvermögens hatte für eine bloße Alterserscheinung zu abrupt eingesetzt.

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