Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
Verlobungsring mehr trug.
»Du siehst blendend aus«, rief eine der Damen entzückt aus.
»Zu freundlich von Ihnen, Frau Roselin«, antwortete Ella und lächelte.
Die hochbetagte Dame war eine von Gretes engsten Freundinnen, und Ella war ihr bereits bei vielen Geburtstagseinladungen von Grete begegnet. Frau Roselin und Grete waren vermutlich die Frauen in der kleinen Gesellschaft, die sowohl körperlich als auch geistig noch am fittesten waren.
»Ich glaube, ich muss der armen Estrid ein wenig in der Küche helfen«, fuhr Ella fort und machte auf dem Absatz kehrt.
»Das Arsen verwahre ich übrigens in der Putzkammer«, merkte Grete mit bedeutend leiserer Stimme als zuvor an.
Wenn die anderen Damen sie gehört hatten, reagierten sie jedenfalls nicht.
»Und wie findest du es dann so schnell, wenn die Kinder zu Halloween vorbeikommen?«, konterte Ella blitzschnell.
Grete antwortete mit einem Lächeln, das unmöglich zu deuten war. Ellas Puls, der bereits beim bloßen Anblick ihrer Großmutter in die Höhe geschnellt war, begann sich langsam wieder zu beruhigen. Sie verspürte ihr gegenüber eine gewisse Überlegenheit. Grete wusste nicht recht, wie sie Ella einschätzen sollte. Sie war längst nicht mehr der rebellische Teenager, den man leicht in die Schranken weisen konnte. Sie war inzwischen eine erwachsene intelligente Frau, die an diesem Tag erstaunlicherweise sehr geschmackvoll gekleidet aufgetaucht war.
In der Küche stand Estrid und betrachtete die Kaffeemaschine, während der dunkle Kaffee langsam in die Kanne hinunterrann. Ella legte ihr die Hand auf die Schulter, woraufhin sie unmittelbar zusammenzuckte. Ella redete ein wenig lauter als sonst.
»Erinnere mich bitte daran, dass ich dir nachher einmal in die Ohren schaue. Du scheinst heute bedeutend schlechter zu hören als früher.«
Estrid nickte und lächelte betrübt.
»In den letzten Wochen habe ich fünf grüne Striche höherschalten müssen«, sagte sie resigniert.
Ella hatte offenbar die Stirn gerunzelt, denn die Fortsetzung folgte unmittelbar und etwas verlegen:
»Ja also, ich meine die Lautstärke meines Fernsehers.«
Ella lächelte und goss den Kaffee in eine Kanne von Georg Jensen. Bernadotte. Alles, was einen königlichen Namen trug, stand bei Grete hoch im Kurs. Wenn Estrid nicht so schlecht hören würde, hätte Ella die Gelegenheit gerne genutzt, um sie nach dem Brand zu fragen. Ella hatte nämlich das Gefühl, dass in den Tagen vor der schicksalsträchtigen Nacht innerhalb der Familie irgendetwas vorgefallen war. Oder handelte es sich sogar um eine Erinnerung? Die Erinnerung an bestimmte Ereignisse, die sie damals wahrgenommen hatte, aber nicht einordnen hatte können.
Ella riss die Ecke einer Seite von der Tageszeitung ab und schrieb eine Ziffernfolge darauf. Daraufhin nahm sie die Kaffeekanne in die eine Hand und ergriff mit der anderen Estrids Arm. Estrid trug Hauspantoffeln mit glatten Sohlen, und Ella wollte verhindern, dass sie auf dem frisch gebohnerten Fußboden ausrutschte. Bevor sie bei den Damen angelangt waren, wandte sie sich Estrid zu und sah ihr in die Augen.
»Ich komm demnächst mal bei dir vorbei.«
»Was für ein Kai?«, rief Estrid aus. Die Damen im Salon warfen dem ungleichen Paar neugierige Blicke zu. Sie waren nahezu gleich groß, aber Estrid war mehr als doppelt so breit wie Ella. Ella seufzte und reichte Estrid die Kaffeekanne, die daraufhin zu den Damen schlurfte und ihnen einschenkte.
»Wie es scheint, bist du ja über Herrn Nilsson bereits hinweggekommen«, sagte Grete mit gespieltem Erstaunen in der Stimme. Die übrigen Damen drehten nun ihre Köpfe in verschiedene Richtungen, um mit dem jeweils besseren Ohr aufzuschnappen, was gerade gesagt wurde.
»Du, Grete«, begann Ella mit einer Schärfe in der Stimme, die Judit zusammenzucken ließ. »Ich bin inzwischen wahrhaftig über Herrn Nilsson hinweggekommen.«
Auf Gretes Stirn bildete sich eine Falte der Bekümmerung. Sie war es gewohnt, dass Ella sie lediglich genervt korrigierte, wenn sie den Nachnamen ihres Freundes falsch wiedergab.
»Jetzt bin ich nämlich mit dem Kleinen Onkel zusammen. Und wenn das nicht funktionieren sollte, überlege ich, vielleicht eine ›Ménage à trois‹ mit Tommy und Annika anzufangen.«
Ella erwiderte Gretes Blick und lächelte gekünstelt. Judit versuchte Ella einen diskreten Tritt gegen das Schienbein zu verpassen, verfehlte sie jedoch und traf stattdessen Frau Roselin. Die alte Dame fuhr zusammen, verzog
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