Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
Eigentlich hätte sie Estrid Ohrentropfen verordnen müssen, die das Schmalz auflockerten, bevor sie in ein paar Tagen versuchen könnte, die Schmalzpfropfen herauszuspülen. Stattdessen nahm Ella eine Pinzette zur Hand, die sie unten im Obduktionssaal gefunden hatte, ergriff vorsichtig den Schmalzpfropfen und begann ihn herauszuziehen. Sie hatte Glück. Das Schmalz war fest und ließ sich ohne Probleme entfernen.
»Ist es jetzt besser?«, fragte Ella.
Estrids Miene hellte sich auf, während sie Ella auf die Wange klopfte.
»Und ich hatte gehofft, niemals deine beruflichen Fähigkeiten in Anspruch nehmen zu müssen«, entgegnete sie mit einem Lächeln und drehte ihr erwartungsvoll das andere Ohr hin. Ella wiederholte die Prozedur mit demselben Erfolg.
Estrid hatte Kaffee aufgesetzt und das Waffeleisen hervorgeholt. Wenn es ums Essen ging, war immer Verlass auf sie, dachte Ella. Sie betrachtete die rundliche Frau, während sie dastand und Waffeln backte. Wenn das Wort Großmutter für sie nicht so negativ besetzt gewesen wäre, hätte sie sie gerne so genannt. Sie war während Ellas Kindheit eine Art sicherer Hafen gewesen. Während der Zeit, in der Judit von neuen Männern umworben wurde, war Estrid immer für sie da gewesen. Doch obwohl Judit Angebote von vielen ansprechenden Männern erhielt, hatte sie sich auf keinen eingelassen. Sie schien sich mit ihrer Rolle als Witwe gut zu arrangieren.
Ella wollte gerade den Kühlschrank öffnen, um mehr Butter fürs Waffeleisen zu holen, als ihr Blick auf eine Todesanzeige fiel, die an der Tür befestigt war. Der obere Teil des Nachrufs war von einem Kühlschrankmagneten in Form einer Sonnenblume verdeckt. Ella schob den Magneten behutsam zur Seite, um den gesamten Namen lesen zu können. Arne Erlandsson. 1922-2009. An oberster Stelle der Trauernden stand der Name Mikael Erlandsson. Ella stand immer noch mit der Anzeige in der Hand da, als Estrid sich an ihr vorbeischob und das Butterpaket selbst aus dem Kühlschrank holte.
»Erinnerst du dich noch an Arne?«, fragte sie, während sie so viel Butter ins Waffeleisen gab, dass Ella mindestens eine zusätzliche Stunde auf dem Laufband benötigen würde.
»Arne?«
Ella kramte in ihrer Erinnerung, konnte sich jedoch nicht erinnern, jemals einem männlichen Bekannten von Estrid außer dem Matrosen vorgestellt worden zu sein.
»Der Matrose?«, versuchte es Ella.
Estrids Miene wurde mit einem Mal ernst. Ihre krumme, vom Rheuma entstellte Hand fuhr flüchtig über eine verblasste dünne Narbe an der rechten Augenbraue. Ella war erstaunt, die Narbe nicht schon zuvor bemerkt zu haben. Normalerweise war sie geradezu eine Meisterin im Entdecken von Narben und anderen Verletzungsspuren bei den Menschen in ihrem Umfeld.
»Nein, Arne war kein Matrose.«
Estrids Augen nahmen wieder den gewohnten lächelnden Ausdruck an, während sie sich aufs Waffeleisen konzentrierte.
»Du warst wahrscheinlich noch zu jung, um dich an ihn zu erinnern«, stellte sie fest. »Er half öfter zu Hause bei deinen Eltern aus. Vor allem im Garten.«
Ella verschlug es die Sprache.
»Nach dem Brand kümmerte er sich um die anderen Immobilien der Familie. Ich glaube nicht, dass Grete ihn besonders gut leiden konnte, aber Ernst mochte ihn.«
Estrid lächelte, während ihr Blick etwas Sentimentales annahm. Ella hatte den Eindruck, dass ihr Großvater nicht der Einzige gewesen war, der ihn gemocht hatte.
»Er arbeitete als Hausmeister, bis Ernst starb. Dann hat er gekündigt. Arne konnte den Gedanken nicht ertragen, für Grete arbeiten zu müssen.«
Ella versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Währenddessen wurde ihr eine dampfend heiße knusprige Waffel mit Marmelade und Schlagsahne serviert. Ganz unerwartet hatte sich eine Verbindung zwischen ihrer eigenen Familie und dem Mann offenbart, der ihr die Tischuhr verkauft hatte. Bedauerlicherweise ergab sich dadurch ebenfalls die Möglichkeit einer Verbindung zwischen ihrer Familie und der Leiche mit dem zerschlagenen Schädel, die in Arnes Garten begraben worden war.
Sie aßen schweigend. Estrid schien zu spüren, dass Ella irgendetwas bedrückte, denn sie fragte:
»Worüber denkst du gerade nach, meine Liebe?«
»Was war damals eigentlich geschehen?«, fragte Ella zurück.
Mit Erstaunen blickte sie Estrid an, der plötzlich Tränen in den Augen standen. Eine derartige Reaktion hatte sie von der alten Frau nicht erwartet. Es musste bedeuten, dass sie eine Menge zu erzählen hatte. Estrid schien Ellas
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