Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
beide darauf geeinigt hatten, dass ihre Beziehung beendet war. Erst da hatten sie mit einer gewissen Erwartung und Neugier auf das Leben nach vorn zu schauen begonnen.
Die Trainingseinheit und der wohlverdiente Saunabesuch zeigten die gewünschte Wirkung. Bereits auf dem Nachhauseweg im Wagen gelang es ihr, nüchtern alle neuen Informationen zu sortieren. Während sie das Auto parkte, fasste sie die Situation zusammen und begann im Stillen, erste Schlüsse zu ziehen.
Vier Tage vor dem Brand, murmelte sie hinter den zunehmend beschlagenen Scheiben vor sich hin, geschah etwas, das Judit beinahe einen Nervenzusammenbruch erleiden ließ. Danach fanden drei Nächte lang merkwürdige Aktivitäten zu Hause bei Grete und Ernst statt, woraufhin Estrid für eine Woche in den Urlaub geschickt wurde. Sie selbst und Judit waren ebenfalls weggeschickt worden, allerdings zu Verwandten aufs Land. Im selben Augenblick, als sie die Worte laut aussprach, fiel ihr auf, dass ihre Überlegungen möglicherweise gar nicht stimmten. Sie musste an das Inserat des Maklers in der Zeitung und die Fotos von der Wohnung neben Gretes denken.
Ella startete den Wagen erneut und stellte die Lüftung auf die höchste Stufe, um wieder freie Sicht zu bekommen. Zehn Minuten später parkte sie vor einer der pompösesten Fassaden der Stadt. Mit einem gewissen Unmut stand sie wieder vor Gretes Haustür. Sie tippte den Türcode ein und schob die schwere Tür auf, doch anstatt in den engen Fahrstuhl zu steigen, ging sie weiter durch eine Hintertür in den Hof hinaus. Sie stellte sich mitten in den verlassenen Innenhof und schaute an der Fassade des Hauses hinauf. Doch das, was sie eigentlich gehofft hatte, sehen zu können, lag zu weit oben. Sie ging weiter bis zum Ende des Hofs und stellte sich auf die Zehenspitzen. Zwar konnte sie so die oberste Wohnung immer noch nicht einsehen, doch in einer der hintersten Ecken standen mehrere große grüne Mülltonnen. Sie zögerte nicht eine Sekunde und kletterte auf eine der Tonnen. Mit zitternden Knien richtete sie sich auf und versuchte das Gleichgewicht zu halten. Ganz hinten an der Fassade der Dachgeschosswohnung erblickte sie schließlich, wonach sie gesucht hatte. Ein warmes Licht strömte aus dem Fenster, auf das sie ihren Blick heftete. Es war rund, und das Licht in der Wohnung verfärbte sich durch das kirchenfensterartige Glas. Vor über dreißig Jahren hatte sie durch dieses Fenster geschaut, ein Fenster, das damals zu einem Teil von Ernsts und Gretes Wohnung gehörte. Sie war also nicht auf dem Lande gewesen, sondern gemeinsam mit Judit zu Hause bei Grete und Ernst, während ihr Elternhaus in zwei Kilometern Entfernung in Flammen aufging.
Ella hatte in dieser Nacht Schwierigkeiten einzuschlafen, war sich jedoch nicht sicher, was sie am meisten beschäftigte. Markus, der tief schlafend an ihrer Seite lag und dessen Gegenwart in ihrem ganzen Körper brannte, oder die Gedanken an den Brand, die ihr durch den Kopf wirbelten und keine Ruhe ließen.
Als ihr Wecker klingelte, war der Platz neben ihr im Bett leer. Sie wusste nicht genau, wann sie eingeschlafen war, aber ihren roten Augen nach zu urteilen, hatte sie nicht viele Stunden geschlafen. Sie erschrak, als sie sich im Spiegel erblickte. Sie erwog ernsthaft, sich ein paar Nasentropfen in die Augen zu träufeln, ließ es dann aber doch bleiben. Rein theoretisch müsste es funktionieren, die kleinen Blutgefäße würden sich zusammenziehen, aber es würde ziemlich brennen. Stattdessen fuhr sie nach einer schnellen Dusche zur Arbeit und hoffte, etwas früher Schluss machen zu können.
Auch ohne Markus’ Anwesenheit fiel es ihr schwer, sich zu konzentrieren. Deshalb war sie dankbar, als David ihre Überlegungen unterbrach, als er mit bekümmerter Miene an ihrer Tür klopfte.
»Hast du einen Augenblick Zeit?«
Ella lächelte und winkte ihn herein.
»Für Fragen habe ich immer Zeit«, antwortete sie und zog einen zusätzlichen Stuhl heran.
Er hatte den Auftrag erhalten, ein Rechtsgutachten auf der Basis einer Patientenakte und diverser Fotos zu verfassen, die das Krankenhauspersonal gemacht hatte. Die Anfrage kam direkt von einem Staatsanwalt, was ungewöhnlich war. Der polizeilichen Anzeige zufolge war die betreffende Frau so schwer von ihrem Ehemann misshandelt worden, dass sie ein Krankenhaus aufsuchen musste. Der Arzt in der Notaufnahme hatte offenbar versucht, die misshandelte Frau zu überreden, ihren Ehemann anzuzeigen, jedoch kein Gehör
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