Todesmarsch
Experten. Sie stießen die anderen Jungen einfach zur Seite und zogen Ewing an den Straßenrand. Er versuchte, sich zu wehren, aber nur schwach. Einer der Soldaten klemmte ihm die Arme auf den Rücken, während der andere ihm das Gewehr gegen die Schläfe hielt und schoß. Ewings Bein zuckte krampfhaft.
»Sein Blut hat die gleiche Farbe wie das aller anderen Menschen«, sagte McVries plötzlich, und in der Stille nach dem einzigen Schuß klang es sehr laut. Sein Adamsapfel hüpfte hoch, und seine Kehle knackte eigenartig.
Zwei Teilnehmer waren also ausgeschieden, und die Chancen für die Zurückbleibenden-stiegen geringfügig. Eine gedämpfte Unterhaltung setzte ein, und Garraty fragte sich wieder einmal, was sie mit den Leichen machten.
Verdammt noch mal, du fragst dich einfach zuviel! schrie er sich im Geist an.
Und dann spürte er, daß er müde war.
Nachmittags um drei fielen die ersten Regentropfen, groß, dunkel und schwer. Die schwarzen, zerfetzten Wolken am Himmel waren wild und faszinierend, und hinter ihnen grollte leise, wie entfernter Applaus, der Donner. Am Horizont fuhr ein blauer, gezackter Blitz zur Erde.
Garraty hatte seine Jacke kurz nach Ewings Tod wieder angezogen; jetzt schloß er den Reißverschluß und schlug den Kragen hoch. Harkness, der potentielle Autor, hatte sein Notizbuch in einer Plastiktasche verstaut, und Barkovitch trug plötzlich eine gelbe Regenkappe aus Venyl auf dem Kopf. Sie bewirkte eine seltsame Veränderung in seinem Gesicht, aber es war schwer zu sagen, was es eigentlich war. Er spähte wie ein trotziger Leuchtturmwärter unter ihrem Schirm hervor.
Ein ungeheurer Donnerschlag. »Jetzt geht's los!« rief Olson.
Der Regen prasselte herunter. Einige Sekunden war er so stark, daß Garraty sich völlig isoliert hinter einem rauschenden Wasservorhang fand. Sofort war er naß bis auf die Haut, •und sein Haar klebte triefend an seinem Kopf. Lachend hob er das Gesicht gegen den Himmel und fragte sich, ob die Soldaten sie jetzt noch sehen könnten. War es überhaupt möglich, durch diesen undurchdringlichen - Doch während er noch darüber nachdachte, war der erste, heftige Guß vorüber, und er konnte wieder etwas sehen. Er blickte über die Schulter zu Stebbins zurück, der tief vornübergebeugt Itief und sich die Hände schützend vor den Bauch hielt. Zuerst glaubte er, Stebbins hätte einen Krampf, und eine heftige Panik durchzuckte ihn, ganz anders, als es bei Curley und Ewing gewesen war. Er wollte jetzt nicht mehr, daß Stebbins früh zusammenklappte.
Dann merkte er, daß Stebbins nur seine letzte Marmeladenbrothälfte vor dem Regen schützte, und erleichtert blickte er wieder nach vorn. Stebbins Mutter muß ziemlich beschränkt sein, dachte er, ihm nicht einmal seine Brote für den Fall, daß es regnete, in Alufolie einzupacken.
Der Donner krachte dröhnend über ihnen - eine Artillerieübung am Himmel. Doch Garraty fühlte sich erfrischt. Seine Müdigkeit schien mit dem Schweiß von seinem Körper abgewaschen zu sein. Es folgte noch ein harter, prasselnder Schauer, dann ging der Regen in gleichmäßiges Nieseln über. Die Wolken lösten sich allmählich wieder auf.
Pearson ging jetzt neben ihm und zog sich seine Hose hoch. Da die Jeans etwas zu groß für ihn war, geschah das öfter. Er trug eine Hornbrille auf der Nase, deren Gläser so dick wie der Boden einer Colaflasche war. Im Augenblick nahm er sie ab und fing an, sie mit einem Zipfel seines T-Shirts sauberzuwischen. In der schutzlosen, blinden Art, die kurzsichtigen Leuten eigen ist, wenn sie keine Brille aufhaben, blinzelte er ihn an und fragte:
»Na, hast du die Dusche genossen, Garraty?«
Garraty nickte. Weiter vorn sah er McVries pinkeln. Er ging rückwärts am Seitenstreifen entlang und drehte sich rücksichtsvoll von den anderen weg.
Dann blickte Garraty zu den Soldaten hinüber. Natürlich waren auch sie klatschnaß, aber sollte ihnen das unangenehm sein, ließen sie es sich nicht anmerken. Ihre Gesichter waren völlig hölzern. Ich frage mich, was für ein Gefühl es ist, jemanden niederzuschießen, dachte er. Ob sie sich dabei mächtig vorkommen? Er mußte an das Mädchen mit dem Schild denken, an ihren Kuß, ihren festen, runden Hintern. Ihre glatte Unterwäsche unter der karierten Hose zu spüren, das hatte ihm ein Gefühl von Macht verliehen.
»Der Kerl da hinten redet wohl nicht viel?« sagte Baker und deutete mit dem Daumen auf Stebbins. Stebbins lila Hose war durch die Nässe fast
Weitere Kostenlose Bücher