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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Major wieder verschwunden.
    Um halb eins erreichten sie die Innenstadt, und Garraty war immer noch enttäuscht. Limestone war eigentlich ein Nest. Ein Geschäftsviertel, drei Gebrauchtwagenhandlungen, ein McDonalds, ein Burger King, eine Pizzahütte, ein Industriepark - und das war's.
    »Es ist nicht sehr groß, nicht wahr?« sagte Baker.
    Olson lachte.
    »Es ist wahrscheinlich ein netter Ort, um darin zu wohnen«, verteidigte Garraty seine Heimat.
    »Gott bewahre mich vor netten Orten zum Wohnen«, spottete McVries, aber er lächelte dabei.
    »Was macht dich denn an?« erwiderte Garraty lahm.
    Um ein Uhr war Limestone nur noch eine Erinnerung. Ein kleiner, großspuriger Junge in einem geflickten Jeansoverall ging fast eine Meile mit ihnen. Dann setzte er sich an den Straßenrand und beobachtete, wie sie vorbeigingen.
    Die Gegend wurde hügeliger. Garraty fing zum erstenmal an diesem Tag richtig zu schwitzen an. Sein Hemd klebte ihm am Rücken. Zu ihrer Rechten am Horizont bildeten sich Gewitterwolken, aber sie waren noch weit entfernt. Eine leichte, zirkulierende Brise kam auf, und das half ein wenig.
    »Was ist die nächste große Stadt, Garraty?« wollte McVries wissen.
    »Ich glaube, Caribou.« Er fragte sich, ob Stebbins schon sein letztes Sandwich aufgegessen hatte. Stebbins hatte sich in seine Gedanken eingeschlichen wie eine Schlagermelodie, die einem ständig im Kopf herumschwirrt, bis man glaubt, davon verrückt zu werden. Es war inzwischen halb eins. Die Geher hatten achtzehn Meilen hinter sich gebracht.
    »Wie weit ist das?« Garraty überlegte, wie hoch wohl der Meilenrekord einer Gruppe wäre, die erst einen Teilnehmer verloren hatte. Achtzehn Meilen kamen ihm ziemlich gut vor. Achtzehn Meilen waren eine Strecke, auf die man stolz sein konnte. Ich bin achtzehn Meilen gelaufen. Achtzehn.
    »Ich habe gefragt -«, begann McVries geduldig.
    »Vielleicht dreißig Meilen.«
    »Dreißig«, wiederholte Pearson. »Oh, Gott!«
    »Es ist viel größer als Limestone«, sagte Garraty. Er hatte immer noch das Gefühl, seinen Staat verteidigen zu müssen, Gott mochte wissen, warum. Vielleicht, weil so viele Jungen hier sterben würden - vermutlich sogar alle. Wahrscheinlich würden sie alle hier sterben. In der bisherigen Geschichte hatten nur sechs Wettbewerbe hinter der Staatsgrenze von New Hampshire geendet, und nur eine Restgruppe war ganz bis nach Massachusetts gekommen. Die Experten behaupteten, daß diese außerordentliche Leistung so etwas wäre wie siebenhundertdreißig Homeruns von Hank Aaron oder so ähnlich - jedenfalls ein Rekord, der nie wieder erreicht werden könne. Vielleicht würde auch er hier sterben. Ja, vielleicht. Aber das war etwas anderes. Heimatboden. Er konnte sich vorstellen, daß das dem Major gefallen würde. »Er starb auf seinem Heimatboden.«
    Er hob seine Feldflasche hoch und stellte fest, daß sie leer war. »Feldflasche!« rief er laut. »Nummer 47 ruft nach einer neuen Feldflasche!«
    Ein Soldat sprang vom Panzerfahrzeug und brachte ihm eine. Als er wieder wegging, berührte Garraty den Karabiner, den er auf dem Rücken trug. Er tat es ganz heimlich, doch McVries hatte es trotzdem gesehen.
    »Warum hast du das gemacht?«
    Garraty lächelte verwirrt. »Ich weiß nicht. Vielleicht so was wie aufs Holz klopfen.«
    »Du bist ein lieber Junge, Ray«, sagte McVries und lief schnell nach vorn, um sich Olson anzuschließen. Garraty blieb allein zurück und war ganz verwirrt.
    Nummer 93 - Garraty wußte nicht, wie er hieß - ging rechts an ihm vorbei. Er starrte auf seine Füße hinunter, und seine Lippen bewegten sich, während er lautlos seine Schritte zählte. Er schwankte ein bißchen.
    »Hallo«, sagte Garraty.
    Der Junge zuckte zusammen. Seine Augen blickten ins Leere. Sie waren ebenso ausdruckslos wie Curleys Augen, als er den Kampf mit dem Wadenkrampf verloren hatte. Er ist müde, dachte Garraty. Er weiß es, und er hat Angst. Sein Magen verkrampfte sich plötzlich und entspannte sich nur ganz langsam wieder.
    Ihre Schatten liefen jetzt neben ihnen her. Es war dreiviertel zwei. Neun Uhr vormittags, die morgendliche Kühle, das Sitzen im Gras und im Baumschatten, das alles lag schon einen Monat zurück.
    Kurz vor zwei kam wieder eine Nachricht. Garraty erhielt eine erstklassige Lektion über die Psychologie des internen Nachrichtendienstes. Jemand fand irgend etwas heraus, und sofort hatte die Nachricht sich überall verbreitet. Gerüchte entstanden wie durch Mund-zu-Mund-Beatmung.

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