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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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für ihn Bedeutung gehabt hätte.

    Halb vier Uhr morgens.
    Für Garraty war dies die längste Minute in der längsten Nacht seines Lebens. Es war Ebbe, Hohlebbe. Die Flut war zurückgewichen und hatte die weite, mit verschlungenem Seegras bedeckte Schlickfläche freigespült, auf der rostige Bierdosen, halb verrottete Präservative, zersplitterte Flaschen, zerbrochene Bojen und moosgrüne Skelette in zerfetzten Badeanzügen lagen. Es war die Stunde des Todes.
    Seit dem Jungen in dem Trenchcoat hatte es sieben weitere Tote gegeben. Zu einem Zeitpunkt, gegen zwei Uhr morgens, waren drei Jungen gleichzeitig umgefallen wie trok-kene Getreidegarben beim ersten kräftigen Windstoß des Herbstes. Sie waren fünfundsiebzig Meilen gelaufen, und vierundzwanzig waren ausgeschieden.
    Aber das war alles unwichtig. Das einzige, was ihn jetzt beschäftigte, war die Hohlebbe. Er hörte eine weitere Verwarnung und kurz darauf das Krachen der Gewehre. Diesmal war es ein vertrautes Gesicht, Davidson, Nummer 8, der behauptet hatte, daß er auf dem Jahrmarkt von Steubenville betrunken in das Hurenzelt gekrochen sei.
    Garraty blickte nur einen kurzen Moment in Davidsons weißes, blutüberströmtes Gesicht, dann sah er sofort wieder auf die Straße. In letzter Zeit blickte er fast nur noch auf die Straße hinunter. Die weiße Linie war manchmal durchgehend, dann wieder unterbrochen, und manchmal war sie auch doppelt wie Straßenbahnschienen. Er konnte nicht begreifen, daß die Menschen an all den anderen Tagen des Jahres über diese Straße fuhren und das Muster von Leben und Tod, das die weiße Linie ihnen erzählte, nicht sahen. Oder sahen sie es doch?
    Die Asphaltdecke faszinierte ihn. Wie schön, wie herrlich müßte es sein, auf ihr zu sitzen. Es würde damit beginnen, daß man sich langsam in die Knie hockte, und die Gelenke knackten wie Spielzeugpistolen. Dann legte man erwartungsvoll die Hände auf die kühle, körnige Oberfläche und ließ sich anschließend ganz sanft auf die Pobacken nieder. Und sofort spürte man, wie das mörderische Gewicht von hundertsechzig Pfund endlich die Füße verließ - dann legte man sich auf den Rücken, ließ sich einfach nach hinten fallen und blieb mit ausgestreckten Armen und Beinen liegen und spürte, wie die übermüdete Wirbelsäule sich entspannte, man blickte hoch in die Baumkronen ringsumher und in den majestätischen Sternenhimmel und wartete... Wartete...
    Ja Das Getrappel der Füße zu hören, wenn die anderen aus der Schußlinie eilten und ihn wie ein heiliges Opfer allein zurückließen, ihr Getuschel zu vernehmen: das ist Garraty, he, seht mal, Garraty hat's jetzt auch erwischt! Vielleicht hätte er sogar Zeit genug, Barkovitchs hämisches Lachen zu hören, wenn er sich wieder einmal seine imaginären Tanzschuhe überstreifte. Und dann würde er in die Gewehrmündungen blicken, die auf ihn zuschwenkten, den Countdown zählen und dann - Er zwang sich gewaltsam, die Augen von der Straße zu heben, und blinzelte verschlafen auf die bewegten Schatten um ihn herum. Dann suchte er den Horizont nach ein bißchen Helligkeit ab, aber da war natürlich nichts. Die Nacht war noch stockdunkel.
    Sie waren durch zwei oder drei weitere dunkle und schlafende Städtchen gekommen, und seit Mitternacht hatte er an die drei Dutzend übernächtigte Zuschauer gesehen. Die gehörten zu den Hartgesottenen, die an jedem Abend des 31. Dezember ins neue Jahr schauten, komme, was da wolle, eine Sturmflut oder die Hölle. Der Rest der letzten dreieinhalb Stunden war eine Traummontage gewesen, der wache Alpdruck eines im Halbschlaf vor sich hindösenden Schlaflosen.
    Garraty forschte in den Gesichtern der ihn umgebenden Jungen genauer, fand aber kein vertrautes darunter. Plötzlich erfaßte ihn eine unsinnige Panik. Er tippte dem Jungen vor ihm zaghaft auf die Schulter: »Pete? Bist du das, Pete?«
    Die Gestalt wich ihm mit einem ärgerlichen Grunzen aus und drehte sich nicht einmal um. Vorhin war Olson noch an seiner linken Seite gelaufen und Baker an seiner rechten, aber auf seiner linken Seite war jetzt niemand mehr, und der Junge, der rechts neben ihm ging, war viel stämmiger als Art Baker.
    Irgendwie mußte er von der Straße abgekommen und in eine Gruppe von Pfadfindern auf einer Nachtwanderung geraten sein. Sie suchten ihn schon. Sie jagten ihn mit ihren Hunden und Gewehren und Infrarotgläsern und mit ihrem Radar und - Gott sei Dank, da vorn war Abraham, und bald würde es vier Uhr sein. Er brauchte nur

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