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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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zu sehen! Sie hätten zusammen das erste von Grund auf morbide Musical der Welt schreiben können: Massah läuft auf der kalten, kalten Straße oder Der verräterische Gang oder - Jemand fing laut zu kreischen an, und Garraty gerann das Blut in den Adern. Es war eine sehr junge Stimme, und man konnte keine Worte unterscheiden - einfach nur Gekreisch. Eine dunkle Gestalt löste sich aus der Gruppe und raste direkt vor den Panzerwagen auf dem Seitenstreifen. Garraty konnte sich nicht daran erinnern, wann das Fahrzeug sich ihnen nach der Behelfsbrücke wieder angeschlossen hatte. Kurz darauf tauchten sie im Wald unter. Die Gewehre donnerten los. Es gab ein lautes, herzzerreißendes Knacken, als der tote Körper in die Wacholderbüsche des Unterholzes fiel. Ein Soldat sprang vom Panzer und zog die leblose Figur an den Armen auf die Straße hoch. Garraty betrachtete die Szene apathisch. Mit der Zeit verschliß sich sogar das Entsetzen. Selbst an Toten konnte es ein Übermaß geben.
    Der Mundharmonikaspieler spielte satirisch ein paar Takte von Taps an, und jemand - dem Klang der Stimme nach Collie Parker - fuhr ihn an, er solle endlich ruhig sein. Stebbins lachte. Garraty wurde plötzlich wütend und wäre am liebsten zurückgegangen, um ihn zu fragen, ob es ihm gefallen würde, wenn andere über seinen Tod lachten. Das war etwas, das man eher von Barkovitch erwartete. Barkovitch hatte ja verkündet, daß er auf ihren Gräbern ,tanzen wollte, und sechzehn gab es jetzt schon, auf denen er das tun konnte.
    Ich bezweifle jedoch, ob von seinen Füßen dann noch genug zum Tanzen übrig sein wird, dachte Garraty. Ein schar-fer Stich fuhr durch den Bogen seines rechten Fußes. Seine Muskeln verkrampften sich, und einen Augenblick blieb ihm das Herz stehen. Dann löste der Krampf sich wieder. Garraty wartete mit klopfendem Herzen, daß es wieder passieren würde. Beim zweiten Mal würde es sicher schlimmer werden. Es würde seinen Fuß in einen nutzlosen Holzklotz verwandeln. Aber es geschah nicht noch einmal.
    »Ich kann nicht mehr«, krächzte Olson. Sein Gesicht war ein undeutlicher heller Klecks in der Dunkelheit. Niemand antwortete ihm.
    Die Dunkelheit. Diese verdammte Dunkelheit. Garraty hatte das Gefühl, als wären sie alle lebendig darin begraben, eingemauert. Die Morgendämmerung lag noch Jahrhunderte entfernt. Viele würden sie nicht mehr zu sehen bekommen. Die Sonne auch nicht. Sie lagen zwei Meter tief unter dieser Dunkelheit begraben, und es fehlte nur noch der monotone Sprechgesang des Priesters, der durch die frisch aufgeschüttete, dicke Schicht gedämpft zu ihnen durchdrang, und die auf ihnen stehende Trauergemeinde. Die Trauernden wußten nicht einmal, daß sie hier waren, daß sie lebten und schrien und verzweifelt gegen die geschlossenen Sargdeckel klopften und kratzten, daß die Luft hier drinnen immer dicker wurde und sich allmählich in Giftgas verwandelte, daß die Hoffnung sie verließ, bis sie selbst zu einem Teil der Dunkelheit wurde. Und über alledem die glockenhelle Stimme des Priesters und das ungeduldige Fußscharren der Trauergäste, die es kaum erwarten konnten, wieder in die warme Maisonne entlassen zu werden. Und dann plötzlich ein schmatzendes Seufzen, ein scharrender Chor der Maden und Käfer, die sich durch das Erdreich gruben, um rechtzeitig zum Festschmaus zu kommen.
    Ich werde noch verrückt, dachte Garraty. Ich schnappe gleich über.
    Ein Windstoß rauschte durch die Kiefern.
    Garraty drehte sich um und pinkelte. Stebbins ging ausweichend an ihm vorbei, und Harkness machte ein heiseres, schnarchendes Geräusch. Er lief im Halbschlaf.
    Garraty hörte die unwichtigen, menschlichen Geräusche auf einmal laut und deutlich: jemand zog die Nase hoch und spuckte vor sich auf die Straße, jemand anderes nieste und weiter vorn kaute jemand geräuschvoll auf etwas herum. Jemand fragte seinen Nachbarn leise, wie er sich fühle, worauf eine gemurmelte Antwort folgte. Yannick sang flüsternd eine kleine Melodie, ganz leise und ziemlich falsch.
    Bewußtsein. Es war alles eine Funktion seines Bewußtseins. Aber es dauerte nicht lange.
    »Warum habe ich mich bloß darauf eingelassen?« fragte Olson plötzlich hoffnungslos und wiederholte damit die Frage, die Garraty sich vor wenigen Minuten selbst gestellt hatte. »Wie konnte ich mich nur auf so was einlassen?«
    Niemand antwortete ihm. Schon seit einiger Zeit hatte niemand mehr auf Olson geachtet. Garraty empfand das so, als ob Olson schon tot

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